Das Gespür für Schnee – Wege zur Inspiration
Inspiration am Beispiel Schnee
Das Gespür für Schnee entwickelt unser Gespür für Geschichten
Inspiration? Woher kommt die? Wie können unsere alltäglichen Erlebnisse zu Storys werden? Zuerst einmal müssen wir erkennen, dass sie als Inspiration dienen können.
Vielleicht geht es Ihnen wie vielen? Sie wollen etwas schreiben, aber Sie suchen noch nach der Inspiration? Das beste Mittel, dem zu begegnen, ist: nicht suchen, sondern finden. Also los – folgen Sie mir auf den verschlungenen Wegen zur Inspiration: Wir fassen dich schon.
Zum Beispiel: Themen.
Themen liegen auf der Straße
Und wie sieht die Straße heute aus? Weiß! Es liegt ein bisschen Schnee auf der Straße und den Häusern:
Der weiße Belag taucht das Dorf in ein mildes Licht und legt sich sanft wie eine Decke über mögliche Dramen, Sorgen und Nöte. Schnee inspiriert:
Schon finden wir eine/n Protagonisten, der den Schnee am liebsten mag, weil er ihm zu vergessen und zu verdrängen hilft, was da auf der Seele lastet. Er kleidet sich ausschließlich in Weiß, seine Wohnungseinrichtung schimmert weiß wie Schnee, und er isst nur Meringue oder Weißwürste, wegen der Farbe. Klar, dass dieser Herr Schneeweiß seinen Urlaub am liebsten in der Arktis verbringt.
Suchten Sie nicht nach Inspiration für den unverwechselbaren Protagonisten? Auf diese Art “konstruieren” Sie ihn.
Schnee ist auch zunächst einmal eine Atmosphäre, die die Geschäftigkeit des Lebens dämpft, die wie Oropax ein bisschen mehr Frieden in den Alltag bringt. Und wer könnte diesen nötiger brauchen als wir?
Lassen wir die Menschen nachhause kommen nach einem geschäftigen Tag, sie stapfen durch den Schnee, kehren ihn weg, rollen Schneebälle und bauen Schneemänner. Schon gerät das Dorf/die Straße/das Viertel wieder miteinander in Kontakt. Wir könnten wie bei “Babettes Fest” eine Geschichte schreiben, die das Schweigen der Gemeinschaft in schneefreundliche Gemeinsamkeit verändert.
Schnee als Gefühl und Spur im Krimi – auch eine Inspiration
Der weiße Niederschlag vermittelt aber auch ein Gefühl, das des Im-Augenblick-Lebens, einfach da sein, sich freuen wie die Kinder. Erinnern wir uns daran, wie wir mit dem Schlitten durch den Wald zogen. Mit einem Schlitten, der heute nur noch Holz und keine Kinder mehr trägt:
Und da war dann dieser Unfall, an den heute noch die Narbe auf einem Kinn erinnert. Doch ein großer Bruder hat das Kind gerettet: Wäre das nicht die Geschichte eines Geschwisterpaares, das im Schnee zusammen findet und – vielleicht – im Sonnenschein auseinander geht?
Wir könnten eine Story aus vergangenen Kindertagen erzählen, Schneewanderungen herauf beschwören oder den Glühwein, der heutzutage in Hütten getrunken wird und der manch einen nicht ganz so einfach wieder heimfinden lässt.
Manche erleben dann auch den “russischen Tod”, indem sie vom Wein berauscht den Schlüssel für ihr Haus nicht finden und auf der Schwelle versterben – ein gnädiger Tod, so sagt man, den man nicht spürt. Nennen wir den Mann Schischkoff, russischer Abstammung, wohnhaft im russischen Viertel in Potsdam – und wer’s nicht glaubt, frage dort nach: diese Geschichte ist wahr.
Wer schon mal in einem Sessellift eingeschlossen war, kann sich sicher lebhaft vorstellen, wie sich darin eine Hass- oder Liebesgeschichte entlädt. Sagen wir, in der Gondel stecken ein Ehepaar und der Geliebte der Ehefrau gemeinsam fest, dazu noch ein paar andere Menschen, die ebenfalls eine Vergangenheit haben und um ihre Gegenwart fürchten. Schon schreiben wir den schönsten Winterthriller.
Man kann aber auch auf den Weg schauen und Spuren sehen:
… und einen Krimi daraus gestalten, denn Spuren lesen gehört zur Arbeit eines jeden Maigrets. Wohin führen diese Spuren, was verdeckt der Schnee? Wie ist der Mord geschehen und wie hat sich der Verdächtige versteckt? Vielleicht hier? Das ist das Thema in “Fräulein Smillas Gespür für Schnee” von Peter Høeg aus dem Jahr 1992.
Geschichten finden
Nehmen wir den Schnee als Unschuld, so können wir eine Protagonistin erfinden, die gerade mal vierzehn Jahr, goldenes Haar – unschuldig im Regionalexpress sitzt, um auf dem Weg zur Kölner Domplatte von … ja, von wem? Von nicht ganz so unschuldigen jungen Männern zumindest um das Handy gebracht zu werden. Schon könnten wir einen Beitrag schreiben, der sich mit den Vorgängen an Silvester 2015 ff. in Deutschland befasst. Oder ein Märchen, in dem sich die vermeintlichen Schuldigen als Helden entpuppen, die dem vierzehnjährigen Mädchen helfen – und es schließlich ein paar Jahre später im Orient vor den goldenen Traualtar führen …
So geht das: Wir brauchen nicht nach Geschichten zu suchen, wir müssen sie einfach finden.
Tiere stinken: Eine andere Art, Themen zu finden
Wenn Sie keine Lust auf Schnee (oder einfach keinen) haben, schauen Sie ein bisschen fern, stöbern Sie in den Buchhandlungen oder gucken Sie Ihren Mitmenschen auf den Mund. Oder besser noch: in den Mund. Hier finden wir das nach der Flüchtlings”krise” und Robert Trump am stärksten bewegende Thema: Unsere Nahrung. “Tiere denken” nennt Richard David Precht folgerichtig und scheinwerfertauglich sein neuestes Buch, in dem er interessante Aussagen macht, z.B. Die Krake hat acht Gehirne. Wow. Und, dazu passend: Menschintelligenz ist nicht gleich Krakenintelligenz.
Richard David Precht ist Philosoph und Autor, er sieht ansprechend aus und spricht viele Menschen an. Sein Verlag – Goldmann – verspricht sich mit dem von Joanthan Safran Foer abgeschauten Titel (dessen Buch ist schon 2009 erschienen und hieß: “Tiere essen“) und dem medienerprobten Precht eine Hunderttausenderauflage – natürlich zur Weihnachtszeit, bei der die Gänse auf den festlich gedeckten Tischen nur noch quietschende Laute von sich geben können, wenn sie tranchiert werden. Oder der Gansersatz. Auch darüber könnte man schreiben: Wie Verlage Themen finden – und vermarkten.
Wir wissen nicht, was Richard David Precht an Weihnachten gegessen hat, aber auch wir können über Tiere, ihren Geschmack und Geruch, über ihre Intelligenz und ihren Liebreiz schreiben. Tiere sind immer ein Thema. Es muss nicht unbedingt moralisch sein, man kann sich auch einen Roman vorstellen mit dem Titel: “Tiere stinken”. Oder “Tiere winken”? Wir könnten aber auch einen Tierhasser finden, der – aber das ist wieder ein anderes Thema und darüber sprechen wir ein anderes Mal.
So viel für heute in der Rubrik: Die Inspiration liegt auf der Straße.
Fotos von Hanne Landbeck