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Das Corona-Tagebuch III Texte vom 4. bis 6. April

Wir veröffentlichen in loser Folge Texte aus dem Corona-Tagebuch, einem Themen-Special von schreibwerk berlin. es fand vom 23. März bis zum 1. Mai 2020 statt.  Das Urheberrecht liegt bei den AutorInnen. Unter dem Titel “die Corona-Bande” lesen Sie hier einen Zustandsbericht unterschiedlicher Autoren.

Das Corona-Tagebuch III

2. April 2020

Rita Lindner – Grau in Grau

Seit gestern habe ich einfach keine Lust zum Schreiben. Mir fällt nichts ein. Ich schaue auf der hinteren Seite unseres Hauses in den Garten: grauer Himmel, die kahlen schmutzig weißen Holzpaneele, mit denen sich der Nachbar links abgrenzt, vom Wind und den Krähen umgestülpte Futterschalen für unsere Gastkatzen, Tristesse. Ich schaue vorne aus dem Fenster: grauer Himmel, kein Mensch, kein Tier ist zu sehen auf unserer kleinen Straße, die nur eine kurze Sackgasse mit einer Wendeplatte ist.

Schließlich rufe ich einen Schulfreund in meiner süddeutschen Heimat an. Das Gespräch muntert mich auf, allein schon seine dezidiert schwäbische Aussprache, das langgezogene „gwääää“, amüsiert mich.

Der Tag fing schon morgens blöd an. Ich stand früh auf, weil ich nicht mehr schlafen konnte, und brachte damit G., der bereits auf war, aus dem Konzept. Statt ungestört im Schlafanzug den Müll hinausbringen, die Spülmaschine ausräumen und den Lesezirkel-Fahrer empfangen zu können, sollte er auf meinen Wunsch hin wenigstens eine Trainingshose und ein Muscle-Shirt anziehen. Die erste Bitte überhörte er, dann ließ er sich auf einen Deal ein: seine Lieblings-Gastkatze darf in die Wohnung und eine Weile bei uns fressen und spielen, und danach zieht er sich an.

Der Lesezirkel–Fahrer brachte eine einzige Zeitschrift für diese Woche, „Ökotest“. Keine „Happinez“, „Couch“, „Living at Home“, kein „Eisenbahn-Journal“, „Geo“ und keinen „Playboy“.

Aber Rewe lieferte Toilettenpapier!

Der nächste Mangel: Gelbe Säcke. Ist das nicht paradox? In einer Situation, in der wir Lebensmittel und Drogerieartikel hamstern, produzieren wir noch so viel Müll, dass die Entsorgung stockt.

 

Andrea Gärtner – Der Engel im Fellstuhl

Ich beobachte an mir eine gewisse Ermüdung.

Schon in meinem allerersten Beitrag schrieb ich, ich würde Zeit gern erst einmal “haben”, bevor ich sie mir vertreibe. Erstaunlicherweise bin ich so beschäftigt, dass ich abends erschöpft auf das Sofa sinke und mich frage, warum in dieser stillstehenden Zeit bei mir nix stillsteht.

Nun bin ich neben der Arbeit mit vielen Dingen beschäftigt, die ich sonst nicht so konzentriert tue (schreiben, Eltern betüddeln, mit Freunden telefonieren, …), aber ich merke: Ich bin angestrengt.

Dazu kam dann gestern der Artikel einer Ärztin, der sich mit der Frage beschäftigt, ob wir alle mittlerweile einer Massenhypnose unterliegen und Tipps gibt, wie man sich vor ungewollter Hypnose und somit sein Immunsystem und Sicherheitsgefühl schützen kann.

Einer der Tipps hieß: Begrenzen Sie zeitlich die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Nun ist es ja so, dass Corona unseren Tag bestimmt, in allen Gesprächen Dauerthema ist und auch hier im Tagebuch omnipräsent ist (das ist ja auch der Sinn und Zweck des Forums …)

Ich spüre aber in mir diesen Drang, auszubrechen. Raus aus dem Hamsterrad, in dem ich immer noch (wenn auch etwas abgewandelt) laufe. Raus aus dem ewigen Thema Corona. Raus aus dem Wälzen der immer gleichen schlechten Nachrichten, trüben Gedanken und beängstigenden Visionen.

Der Engel im Fellstuhl

Als ich nach Hause komme, sitzt ein Engel im Fellstuhl vor dem Ofen. Er sieht erschöpft aus, seine Augen sind geschlossen. Meine Katze hat sich auf seinem Schoß eingerollt.

Ich bin versucht, mich einfach daneben zu legen.

Der Tag war furchtbar. Erst die Präsentation, auf die ich mich so lange vorbereitet hatte und bei der ich dann fast keinen Ton herausbrachte. Dann der Termin beim Arzt, wo die Testergebnisse zwar Entwarnung brachten. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, im Vorfeld beinahe an einer Panikattacke zu sterben.

Auf dem Weg nach Hause dann die rote Ampel, die ich überfuhr, weil ich sicher war, das würde ich noch schaffen. Pling – das wird ein schönes Foto. Und zu guter Letzt die Verabredung mit dem tollen Typen von letztem Samstag. Ich hatte mich sehr darauf gefreut und ihn in ausgesprochen guter Erinnerung. Der Abend aber wurde zur Farce, weil ich die ganze Zeit misstrauisch jedes seiner Worte anzweifelte und sezierte. Entspannte Atmosphäre – Fehlanzeige. Vermutlich hat er sich darum schon nach der Vorspeise unter einer fadenscheinigen Begründung verabschiedet.

Ich bin erledigt, es war ein mieser Tag. Ich möchte nur noch meine Ruhe. Und jetzt sitzt da dieser Engel mit meiner Katze in meinem Fellstuhl. Pff.

Ich stupse mit einem Fuß gegen den Stuhl. Der beginnt leicht zu wackeln, meine Katze schnurrt mit geschlossenen Augen, der Engel reagiert nicht. Ich trete fester und räuspere mich. Die Katze gähnt, streckt und erhebt sich, springt vom Schoß des Engels herunter, streift an meinem Bein entlang und verschwindet in Richtung Futternapf. Der Engel reagiert nicht.

„Hey“, sage ich, laut und bestimmt.

Der Engel zuckt zusammen, richtet sich auf und schaut mich mit aufgerissenen Augen an. „Oh“, sagt er.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und warte auf eine Erklärung.

„Tut mir leid“, sagt der Engel, während er sich aufrappelt. „Heute war wohl nicht mein bester Tag.“

Er steht mir nun gegenüber, so dass ich meine nächsten Worte direkt in sein Gesicht spucke.

„Es war nicht DEIN bester Tag? Dass ich nicht lache. Es hätte heute mein Tag sein sollen. War es aber nicht. Im Gegenteil. Es war ein furchtbarer Tag. Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er wohl so furchtbar schief läuft.“

Ich werde mit jedem Satz lauter. Der Engel mir gegenüber zieht den Kopf ein und blickt schuldbewusst zu Boden.

„Aber jetzt ist alles klar. Du hast dir einen faulen Lenz gemacht und mich hängen lassen. So sieht es aus. Herzlichen Dank!“

Ich mache auf dem Absatz kehrt und folge der Katze. Sie wartet geduldig vor dem leeren Futternapf, den ich ihr nun großzügig befülle.

Ich koche mir einen Tee, ziehe die Schuhe aus und wickele mich in die Wolldecke auf dem Sofa ein. Die Katze kommt, rollt sich neben mir zusammen und schnurrt. Ich beneide sie.

Der Engel tritt sachte hinter mich. „Es tut mir leid.“ Seine Stimme ist leise, aber warm. „Du hast recht, ich hab‘ es vermasselt. Aber nicht, weil ich mir einen faulen Lenz gemacht habe.“

Ich hole Luft, um zu einer erneuten Tirade anzusetzen. Der Engel legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich atme seufzend aus.

„Ich habe heute Morgen extra Kräftigungsübungen gemacht, um gut gewappnet zu sein. Dabei habe ich wohl die Zeit vergessen und du warst schon weg. Dann habe ich die Termine durcheinandergebracht und bin als Erstes zum Arzt. Als ich dich dort nicht fand, bin ich zum Präsentationssaal und habe dich wahrscheinlich knapp verpasst. Dann habe ich mich verfahren und für den Weg zurück zum Arzt viel zu lange gebraucht.“

Der Engel berichtet eindringlich und meine Phantasie untermalt seine Worte mit Bildern. Ich spüre, wie ein Lächeln in meinem Gesicht aufblüht.

„Ich glaube sogar, ich bin dir entgegengekommen, als du dort schon wieder wegfuhrst. An einer Kreuzung konnte ich dich gut ausmachen. Es war, als würdest du extra für mich angestrahlt.“

Ich muss mich zusammenreißen, um nicht lauf aufzulachen. Ein kleines Glucksen entweicht mir dennoch.

„Das wäre denkbar. Immerhin sind wir beide nicht die einzigen, die wissen, dass ich manchmal etwas schusselig bin. Zu guter Letzt wollte ich wenigstens bei Deinem Date alles wieder rausreißen. Aber ich habe das verflixte Gasthaus nicht gefunden. Acht „goldene Hähne“ habe ich abgeklappert. Du warst in keinem davon.“

Das Lachen platzt aus mir heraus.

„Das Gasthaus hieß ‚zum goldenen Anker‘“, pruste ich.

Der Engel stimmt in mein Lachen ein.

„Wer auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet dich zu einem Vertrauens-Engel zu machen, muss eine merkwürdige Vorstellung von Humor haben“, sage ich, als das Lachen verebbt.

Er legt nun auch seine zweite Hand auf meine Schulter. Wärme durchströmt mich und endlich keimt Entspannung in mir auf.

„Morgen werde ich dicht an deiner Seite bleiben!“, verspricht mir der Engel.

Ich glaube ihm.

Ich kann nicht anders.

Ich vertraue ihm eben.

 

 

Beate van den Berg – Notbeleuchtung

Seit Tagen drücke ich mich darum, die Futterbestände meines Hunde-Snobs aufzustocken, der ja beschlossen hat, nur noch Pferd zu fressen, und bei Widerstand mit Tierarztbesuch zu drohen. Denn Pferd ist nicht eben mal so im Super- oder Drogeriemarkt zu bekommen, dafür muss man in einen Laden für Tierbedarf – und auch dort gibt´s große Unterschiede und nicht überall das Gewünschte. Aber heute muss es nun sein.
Die Futterquelle meines Vertrauens liegt im ersten Stock eines dieser stereotypen Shopping-Zentren namens „Beliebig-einzusetzender-Stadtteil-Arcaden“ in der angeblich ältesten Fußgängerzone Berlins. Die stimmt mich schon zu normalen Zeiten immer irgendwie traurig, und so bin ich auf alles gefasst, als ich eintreffe. Dass die Passage geöffnet haben würde, war klar, denn sie beherbergt einige wenige Geschäfte, die verkaufen dürfen.
Schon von draußen packt mich ein ungutes Gefühl, denn hinter den großen Glastüren liegt alles im Dunklen. Dabei ist es nach 11 Uhr, die autorisierten Läden müssten also schon lange den Betrieb aufgenommen haben. Einigermaßen irritiert trete ich ein – denn die Türen weichen trotz gegenteiligem Erscheinungsbild mit leichtem Zischen zur Seite – und komme mir sofort vor wie in einem schlechten Film.
Die meisten Geschäfte haben schwere Eisengitter herunter gelassen, das Einkaufszentrum ist tatsächlich nur not-beleuchtet und fast menschenleer. Und die wenigen Besucher, die hier unterwegs sind, begutachten sich gegenseitig misstrauisch, es herrscht eine beklemmende Stimmung, denn jeder scheint sich bewusst zu sein, dass wir Wenigen hier für diesen Moment eingesperrt sind und nicht so schnell nach draußen ausweichen können.
Ich denke mir, dass ich hier und jetzt gut und gern einen klaustrophobischen Anfall bekommen könnte, obwohl das im normalen Leben vor Corona noch nie ein Thema war und bin froh, den Hund mitgenommen zu haben. Aber der Grieche fährt keine Rolltreppe und wir müssen hoch in den 1. Stock – und zwar mit dem Fahrstuhl. Oh ne, jetzt nicht auch das noch. Womöglich stecken bleiben, und … Ja, im normalen Leben ist die Fantasie ein schönes Geschenk, aber sie kann in Corona-Zeiten auch verdammt anstrengend sein.
Um es jetzt aber mal kurz zu machen: Es ist alles gut gegangen. Der Fahrstuhl fuhr, der Anfall fiel aus, Futter gab´s auch und wir sind der Arcaden-Hölle unversehrt entkommen. Auf dem Rückweg im Auto lief im Radio „The Passenger“ von Iggy Pop – ich drehte auf, gab Gas und hätte bis ans Ende der Welt weiterfahren können.

 

 

Ursula Cole – Neue Dimension des Hausarrests?

Ich habe mir vorgenommen, heute einmal nicht die Allerletzte zu sein, die den Tagebucheintrag schreibt. Ist ja auch eine verdrehte Welt: ich arbeite nicht mehr, müsste demzufolge reichlich Zeit haben.

Heute ist kein angenehmer Tag gewesen. Am Anfang war die Welt noch im Lot. Ich bin mit einem guten Gefühl erwacht und habe genüsslich aus dem Fenster geschaut (der gestrige Ausflug hat einen angenehmen ‘Nachgeschmack’ hinterlassen). Auch haben wir sowohl Strom wie Wasser an diesem Morgen. In unserem Dorf fehlt des Öftern eines von beiden. Kein Wasser zu haben empfinde ich schlimmer als keinen Strom zu haben. Heute funktioniert alles – also hier kein Grund zur Verstimmung.

Dennoch bin ich wenig später sehr verstimmt und verärgert, geradezu wütend sogar. Die Nachbarin von H. hat offenbar erzählt, dass die Regierung diskutiert, ob die über 60-, oder über 65-Jährigen zu ‘radikalem’ Hausarrest verdonnert werden sollen. Offenbar wird es an diesem Wochenende entschieden. Dies würde bedeuten: wir können nicht einmal mehr einkaufen gehen noch mit unseren Hunden ‘Gassigehen’? Das kann doch wohl nicht wahr sein!!!

Den ganzen Tag trage ich diesen Groll mit mir herum und mein Hund nervt mich (Rena bellte heute auffällig oft und unablässig – so kam es mir wenigstens vor).

Sollte die Regierung tatsächlich zu diesem Entscheid kommen, werde ich nicht gehorchen können. Ich werde nicht darauf verzichten, mit meiner Hündin ins Gelände zu gehen, noch werde ich nicht mehr selber einkaufen. Das kann ja wohl nicht sein! In Armenoi sind mindestens 2/3 der BewohnerInnen über 65 Jahre alt. Wer soll dann bitte den Einkauf für die alle machen? Die ‘Jungen’, die in Chania oder anderswo leben? Sicher, einige der ‘Jungen’ sind im Dorf geblieben, um ihre Kinder auf dem Land aufwachsen zu lassen. Diese könnten die ‘Alten’ mit Lebensmitteln versorgen. Aber es geht ja um den täglichen (wohl oberflächlichen, nichtsdestotrotz wichtigen) sozialen Kontakt! Die alten Männer treffen sich noch täglich – anstatt im Kafeneio jetzt auf der Strasse – und auch wir Frauen unterhalten uns in unserem Quartiersträsschen! Dies gerade macht doch den Hausarrest erträglich! Reichen denn die zwei Meter Abstand noch nicht aus? Was ist das bloss für eine Denkweise?

Das geht zu weit! Was bezwecken ‘die’ damit? Ich will das nicht verstehen!

 

4. April 2020

Ulrich Fritz – Mitschuldig

Heute ist Samstag, mein zweiter Voll-Fasten-Tag. Die Nacht verlief einigermaßen, wenig Schmerzen in den Beinen/der Hüfte. Dennoch unruhiger Schlaf, häufige Lagewechsel. Aber noch keine Muskelkrämpfe, wie bei den letzten beiden Fastenepisoden. Um 4:00 wach und die HNA gelesen, dann aber um 5:00 wieder für ein Nickerchen hingelegt und siehe da, bis 7:30 geschlafen. Kann ich mit leben. Heute früh muskulär/gelenkmässig besser, aber ich trau dem Braten nicht. Nach dem „Frühstück“ zwei Stunden Schreibtisch, bin ganz gut vorangekommen, obgleich ich mich ein wenig, wie im Nebel befand. Und noch befinde, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, ich könnte zwar arbeiten (es fühlt sich an, wie wenn man einen 24-Stunden-Dienst hinter sich hat), aber es ist weiser, es nicht zu tun. Von Euphorie auch noch keine Spur. Ich warte also.

Zum Mittagessen kamen Milli und Timo vorbei – illegal ! Zum Glück sehen die beiden Corona auch nicht ganz so dramatisch, wie es uns die Medien gerade wieder schildern. Habe mich zum gemeinsamen Mittagessen hinzugesellt und meine Gemüsebrühe gelöffelt. Habe es genossen, dass Fremdkontakt möglich war. So ein bisschen klammheimliche Freude, nicht wahr, aber das würde mir Herr Trittin jetzt sicherlich nicht zugestehen.

Auf ntv habe ich einen Beitrag über die katastrophalen Zustände auf New Yorker Intensivstationen gesehen. Gänge voller Tragen und Betten. Also schon überfüllt. Merkwürdig aber: nur wenige Infusionen, wenige Sauerstoffmasken und nur ein einziges Beatmungsgerät im Hintergrund. Ich habe den Eindruck, hier wird uns eine Story erzählt. Eine Story mit starken Bildern. Das Virus breitet sich immer weiter aus, unaufhaltsam, grausam. Es schlägt sich eine Schneise durch unsere Gesellschaft, lässt rechts und links haufenweise tote Greise fallen und ab und an auch mal einen jüngeren Menschen. Die werden dann ganz groß rausgezoomt und nochmal gesondert in den Medien breitgetreten. So erzeugt man Panik. Aber: cui bono ? Will jemand Kapital vernichten ? Eine Diktatur errichten ? Oder Tests und Impfungen verkaufen ? Mit Atemschutzmasken reich werden ? Oder mit Klopapier ?

Am Nachmittag gehe ich einkaufen – brauche noch zweimal Gemüsesaft. In schönstem Sonnenschein laufe ich zum Einkaufszentrum. Ich begegne einer Dreiergruppe Kinder – eines davon trägt Mundschutz. Ob es an den Schutz glaubt – oder seinen Eltern Folge leistet ? Vor dm natürlich Security, jeder nur einen Einkaufswagen, der Handgriff vorher mit Desinfektionsmittel abgewischt. Die Security-Dame trägt keinen Mundschutz, dafür Handschuhe. Einige Kunden tragen Mundschutz. Es wirkt wie ein grosser, hilfloser Flickenteppich – keiner weiß Genaues und ein jeder bastelt sich seine eigene Schutzmaßnahme. Ist aber von dieser sehr überzeugt – die Maskenträger schauen die ohne Masken richtig giftig an.

Ich frage mich, wann endlich mal ein Vertreter der älteren Generation aufsteht und sagt: „Wegen mir braucht ihr den ganzen Scheiß nicht zu machen !“. Habe mit Felicitas schon festgelegt, dass ich mich zwar intubieren und beatmen ließe, aber keinerlei weitere Maßnahmen an mir zulassen möchte. Keine Perfusoren, keine Blutwäschen, nichts von diesen Segnungen der Intensivmedizin. Es genügt, wenn ich sediert und beatmet bin, dann soll mein Körper entscheiden. Wenn er es nicht packt, dann sterbe ich halt. Krieg ich ja eh nicht mehr mit (denke ich jedenfalls). Und dann wäre Ruhe und ewiger Frieden oder eben nichts mehr. Beides ja keine unangenehmen Vorstellungen.

Am späten Nachmittag dann mit Felicitas „Das perfekte Dinner“ geschaut. Zwei Folgen, jetzt wissen wir, wer im Osnabrücker Land gesiegt hat. Ich wundere mich erneut über mich selbst, dass ich mich während des Fastens mit Essen beschäftigen kann. Offensichtlich kann ich mich zwanghaft an Pläne halten. Ist das gut oder schlecht ? Ich schätze, es ist „deutsch“ – und genau mit dieser Einstellung laufen wir jetzt in die wirtschaftliche Katastrophe. Fühle mich irgendwie mitschuldig an diesem Desaster.

 

5. April 2020

Stefan Gross – Auf dem Lande

Auf dem Lande waren wir heute nicht, obwohl es in NRW noch erlaubt ist rauszufahren, auch wenn davon auf den digitalen Werbetafeln in der Stadt abgeraten wird: Bitte bleiben Sie zu Hause. Hier ist aber mit Macht der Frühling ausgebrochen und gefühlt nutzt heute jeder die noch vorhandene Freiheit, um draußen zu sein und frische Energie und Lebensmut zu tanken. Lichtscheue Wesen, die selbst in diesen Tagen Zombiefilme gucken und sich auf den Weltuntergang freuen, mal ausgenommen. Wir waren am Rheinufer, lagen am Sandstrand unter Pappeln, Erlen und Weiden und hatten ein nettes Gespräch mit einem Mann, der eine Art dreieckiges Trampolin zwischen drei Bäume gespannt hatte und darin rumlungerte. Erst war er mir ein bisschen suspekt, denn seinem olivfarbenen E-Bike und seinem Outfit nach hätte er sich auch als rechtsauslegender Heimatschützer entpuppen können, aber zum Glück war er eine gute Seele, ein Mann, der mit Kindern und Jugendlichen raus in die Natur geht und sie ihnen nahebringt, was zur Zeit ja nicht geht. Er arbeitet normalerweise auch im Waldkindergarten am Standrand, den ich vom Fahrradfahren her kenne. Meine Frau, von Beruf Sozialpädagogin und selbst in der Betreuung von Jugendlichen tätig (dieser Tage am Telefon) hatte auch gleich einen Draht zu ihm.

Der Mann, der auch Stephan, aber mit ph geschrieben, heißt, hat uns berichtet, dass er gerade viel Zeit hat, aufs Land zu fahren, in der Eifel und ins Bergische und es dort trotz des “viel zu schönen Wetters” dort nicht so gut aussehe.

Durch das nun schon über drei Wochen währende Dauerhoch sei es für die Jahreszeit viel zu trocken. Der Wald, ohnehin schon strapaziert durch Borkenkäfer und trockne Sommer, sehe gar nicht gut aus, trotz des anstehenden Frühlings. Die Sieg sei nur noch ein Flüsschen, durch das man zur Zeit zu Fuß gehen könne, und der Rhein, wie man sehen könne, habe nach dem Hochwasser vor vier Wochen nun schon wieder Niedrigstand. Komische Zeiten, wirklich, als käme eins zum anderen. Ich oute mich als Naturphilosoph, sage, es kämen auch wieder bessere Zeiten, das sein nur natürlich, eine ewig schwingende Welle zwischen zwei Polen. Er grinst und sagt, Polsprünge seinen in der Weltgeschichte aber auch schon vorgekommen. Ich nicke eifrig und trumpfe auf, in dem ich erzähle, dass der magnetische Nordpol noch vor zweihundert Jahren in der kanadischen Nordwest-Passage lag und nun Richtung Osten wandere und zwar mit exponentiell zunehmender Geschwindigkeit, während am geografischen Nordpol inzwischen ja bekanntlich das Eis schmelze. Ob es da wohl Zusammenhänge gäbe. Wir schauen uns an und stellen fest, dass wir am Ende unseres Internet-Wissens angelangt sind. Wir schweigen seriös, zucken mit den Schultern und er sagt, bestimmt gäbe es Experten, die sich da auskennen. Dann erzählt er noch die Geschichte von dem Medizinmann aus den Siebzigern: Als ihm eines der damals sensationellen Fotos von der Erde aus dem Weltall gezeigt wurden, soll er gesagt haben: das ist nicht die Erde. Hier, wo ich stehe, der Boden, die Bäume, das Land, die Hügel und dort der Himmel, die Wolken, die Sonne, das ist die Erde. Ich kannte die Geschichte schon. Bezogen auf Corona und das uns zugängliche Wissen darüber, finde ich diese Art der Selbstvergewisserung gerade ganz hilfreich. Diese Bilder im Internet, die Statistiken, die Debatten – das ist nicht Corona. Corona, so heißt es, ist Fieber, trockner Husten und vielleicht ist das dann begleitet durch ein ureigenes intuitives Gefühl für eine Krankheit, die ich so noch nicht kenne. Von all dem spüre ich zum Glück noch nichts.

Wieder zu Hause telefoniere ich mit meiner Schwester. Sie wohnt noch auf dem Land, wo wir aufgewachsen sind, im Westtaunus, nähe Loreley. Die Leute dort fühlten sich gerade zurückversetzt in eine gute alte Zeit, ein bisschen wie in den Sechzigern. Klar, sie träumt von unserer frühen Kindheit. Das ist für viele, die halbwegs Glück im Leben hatten, ja das Paradies. Das war die Zeit, als die Russen und Amerikaner vor den Augen der Weltöffentlichkeit ins All und die Amis dann bekanntlich sogar zum Mond flogen. Zu der Zeit wurde in meinem Ländchen, so wie vielerorts in Westdeutschland mit viel Eigenleistung versucht, die Wunden des zweiten Weltkrieges zu heilen. Vielleicht bin ich ja wirklich in einer guten alten Zeit aufgewachsen und all das Selbermachen und sich nachbarschaftlich helfen, ohne geldwerte Vorteile rauszuschlagen, war das echte, gute Leben. Nur gemeinsam feiern tun sie auf dem Lande dieser Tage angeblich noch nicht. Aber es sind Schlitzohren. Ich traue ihnen nicht. Durchgesickert ist nämlich schon, dass sich meine achtzigjährige Mutter ganz im Geheimen die Haare hat machen lassen von B. Die hat sich neulich abends zu ihr ins Haus geschlichen. Bestimmt haben sie auch einen gehoben.

 

6. April 2020

Petra Pieper-Rudkowski – Die Corona-Bande

Meine liebe, kleine Ilse

Deine Oma war etwas schreibfaul. In den letzten Tagen war mein Kopf voll mit ärgerlichen Gedanken, die mir sogar den Schlaf geraubt haben. Irgendwie hatten die fiesen Co…. mich im Griff. Es war einfach kein Platz mehr für Geschichten. Heute habe ich mal “klar Schiff” in dieser Unordnung gemacht. Ich bin 10 km durch den sonnendurchfluteten Wald gewandert, ein warmer Wind hat meinen Kopf durchpustet und auf der ”Wanderer-ruh-dich-aus-Bank” ganz oben auf dem Brunsberg kamen die ersten Geschichtenideen gemeinsam mit einer großen Wolke fröhlich im Sonnenlicht tanzender Käfer zurück. Wirklich lustige Gesellen, die alle gleichzeitig aus der Heide krochen und neugierig und aufgeregt die Welt am Brunsberg durchflogen. Aber das könnte eine andere Geschichte werden.

Ilse, weißt du eigentlich, wo heute die wilden Kerle hausen? Nein, die leben nicht mehr auf ihrer fernen Insel, sondern ganz plötzlich mitten unter uns. Woher ich das weiß? Ich treffe sie gerade fast täglich. Diese“neuen wilden Kerle” sind so eine Art “Oldtimer-Kerle”. Vermutlich haben sie schon ein ganzes Leben gelebt. Fast alle sind im Ruhestand, aber noch ganz gut zu Fuss und halten sich für ziemlich wichtig.

Seit die Corona-Bande ihr Unwesen treibt, sind diese Kerle plötzlich überall anzutreffen. Die “Oldtimer-Kerle” stehen schon um 8 Uhr vorm Supermarkt. Kaum sind die Türen geöffnet, ziehen sie sich ihre Einweghandschuhe über, schieben den Mundschutz über die Nase und rempeln sich gegenseitig an, um ja als Erster einen Einkaufswagen zu ergattern. Mit langausgestreckten Armen, nur mit den gummiüberzogenen Fingerspitzen rangieren sie ihre Wagen durch die Warengänge. Da geht auch schon mal das eine oder andere zu Boden. Aber so langsam füllen sich ihre Wagen, auf der Strecke bleiben immer öfter die Wareneinsortierer*innen, die den rettenden Sprung in einen Seitengang nicht geschafft haben. Nun geht es mit der erjagten Beute in den Kassenbereich. Noch immer den Wagen weit vor sich herschiebend, versuchen die Kerle die beste Ausgangsposition für die Kasse zu erobern. Manche Hacke des Voranstehenden wird da schon mal blutig gerammt. Nun die Ware aufs Laufband, gar nicht so einfach mit den Gummihandschuhen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Einweg-Handschuhe nicht zum normalen Equipment der Kerle gehören. Gefühlte Stunden später ist es dann geschafft. Der Einkauf ist bezahlt, die Ware im Beutel, der Beleg sorgfältig gefaltet im Portemonaie und Halt! Wo sind meine Treffpunkte!

Ein Schauspiel, das andere Einkaufende ins Nachdenken bringt. Wo kommen die plötzlich her? Die gab es doch früher nicht? Nein, die Kerle hausen jetzt im Supermarkt!

Dafür kann es nur einen Grund geben! Den Oldtimer-Kerlen ist von der fiesen Corona-Bande der Lebensraum entzogen worden. Ihr Fitness-Center, das Café um die Ecke, die Sitzecken im Einkaufszentrum, das örtliche Hallenbad mit der Frühschwimmerzeit, der Baumarkt (zumindest bis letzte Woche), alles geschlossen. Überall konnten sie unbeaufsichtigt herumlungern und das Kerleleben genießen. Nun sollen sie zuhause bleiben. Kein Vergnügen für alle Beteiligten. Was wäre ein besserer Einfall, als sie zum Einkaufen zu schicken? Da stören sie andere und nicht zu Haus.

Übrigens, das Gegenstück von Oldtimer- Kerlen sind Museums-Zicken. Sie sind in diesen Zeiten modisch durchgestylt auf dem Wochenmarkt, spätestens ab 8 Uhr anzutreffen. Sie geben dort ungefragt und lauthals ihre Kommentare und Weisheiten zur Abschreckung der fiesen Corona-Bande ab. “Also, ich brauche meinen Latte, dass ist doch kein Leben. Sie sollten die Alten einfach wegsperren und uns unser Leben zurückgeben.” Zitat einer Mittsechzigerin

Deine Oma

 


Hanne Landbeck

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