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Sparschwein

Das Sparschwein – Short Story von Elena Fischer

“Das Sparschwein” ist im Speed-Writing entstanden
Elena Fischer lebt in Mainz, arbeitet in Heidelberg und schreibt meistens im Zug.
Wenn du das Speed-Writing selbst probieren willst, schreib uns eine Mail

Das Sparschwein

Er lag in seinem Hochbett. Das Sparschwein, das der Vater ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, ruhte auf seinem Bauch und sah ihn dümmlich grinsend an. Er fuhr über das glasierte, rosa Porzellan. Es fühlte sich kalt unter seinen Händen an. Das Schwein hatte einen Schlitz am Rücken und durch diesen Schlitz fraß es. Hier einen Euro, da zwei Euro Taschengeld, und manchmal, wenn er bei seiner Oma gewesen war, einen Fünf-Euro-Schein, aber das war die Ausnahme. Seine Mutter achtete darauf, dass er das Tier regelmäßig fütterte, sie wollte keinen Ärger mit dem Vater riskieren. Das, was das Schwein verschlang, war erst einmal verloren. Es hatte zwar ein Loch im Bauch, aber das war verschlossen.

Der Vater hatte den Schlüssel behalten

Der Vater hatte den Schlüssel behalten und zwinkernd gesagt, dass er schließlich nicht in Versuchung geraten solle. Am Hinterteil hatte das Schwein eine raue, weiße und scharfkantige Stelle. Dort war, bevor es ihm vom Regal gefallen war, ein kleiner Ringelschwanz gewesen. Er strich mit dem Fingernagel darüber. Das quietschende Kratzen verursachte ihm Gänsehaut. Er schüttelte sich, nahm das Schwein und stellte es neben sich auf die Matratze. Je schwerer es über die letzten Monate geworden war, desto größer wurde seine Sehnsucht nach diesem Computerspiel, das alle in seiner Klasse spielten. Nur er nicht. Dann hatte seine Mutter vorgeschlagen, ein neues Schwein zu kaufen und es mit dem bisher gesparten Geld zu füttern. Er dachte an das Haus der Verrückten, in dem Asterix und Obelix verzweifelt versuchten, einen Passierschein zu ergattern, und immer, wenn sie dachten, sie seien kurz vorm Ziel, vertröstet und weitergeschickt wurden. Er hasste den Vorschlag seiner Mutter, widersprach ihr aber nicht. Stattdessen schmiedete er einen Plan und heute war es soweit, es war Schlachttag.

Er lauschte nach draußen

Er lauschte nach draußen. Seine Mutter hatte, wie jeden Samstagmorgen, mit dem Putzen begonnen. Obwohl die Wohnung, in der sie lebten, klein war, brauchte sie dafür meistens den ganzen Tag, denn sie ging immer nach dem gleichen Muster vor. Als er sie einmal vorsichtig gefragt hatte, weshalb sie das Waschbecken putze, obwohl es gar nicht schmutzig sei, hatte sie ihn strafend angesehen und ihm einen Vortrag über Gründlichkeit gehalten. Im Badezimmer leierte die Waschmaschine, die Wäsche drehte unermüdlich Runde um Runde. Von unten drang das Klappern des Geschirrs hinauf, seine Mutter wusch wieder von Hand ab, trotz des Geschirrspülers. Den benutzte sie nur, wenn der Vater Schichtdienst hatte, aber heute war er da. Mit seinen Hausschlappen schlurfte er über die Fliesen zum Gäste-WC. Würde er die Spülung betätigen? Er spitzte die Ohren und im gleichen Moment verstummte unten das Klappern des Geschirrs. Ein dumpfes Geräusch ertönte, dann das Sprudeln von Wasser, das abrupt abgebrochen wurde, der Spartaste sei Dank. Jetzt räumte seine Mutter den Küchenschrank ein, Porzellan schabte über Porzellan, das Radio dudelt leise vor sich hin, immer wieder unterbrochen durch die aufgekratzte Stimme der Moderatorin.

„Wo willst du hin?“

Er kletterte vom Hochbett und wickelte das Schwein in einen Kissenbezug. Zusammen mit ein paar Büchern stopfte er ihn in eine Sporttasche. Dann schlich er nach unten in den Flur. Gerade als er den Kellerschlüssel vom Schlüsselbrett nehmen wollte, spürte er den Arm des Vaters auf seiner Schulter. Hastig drehte er sich um, sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
„Wo willst du hin?“
„Ähm, ein paar Bücher in den Keller bringen.“
Er öffnete die Sporttasche, zog ein Buch heraus und hielt es dem Vater unter die Nase. Es war ein Hanni und Nanni-Band, den seine Mutter als Jugendliche gelesen hatte. Der Vater verdrehte die Augen, Mädchenzeug, und er schlüpfte erleichtert aus der Haustür. Er mochte Hanni und Nanni, hatte das Buch drei Mal gelesen. Dem Vater gegenüber hatte er das nie erwähnt und das war gut so. Im Keller war es kalt. Das Licht der Neonröhre an der Decke flackerte; ein unstetes Surren und Summen kündigte ihren baldigen Tod an.

Es roch modrig

Es roch modrig, hier unten war es feucht, irgendwo tropfte Wasser mit einem hellen Geräusch in eine Pfütze. Er zog den Schlüssel aus der Hosentasche, ein kurzer Widerstand, dann öffnete sich quietschend das Gitter. Sein Blick wanderte über die säuberlich sortierten Regale, bis er einen Hammer fand. Mit zitternden Fingern packte er das Schwein aus, stellte es auf den Kissenbezug und schlug zu. Das Porzellan zersprang mit einem lauten Knall in drei große und sehr viele kleine Teile. Die Münzen ergossen sich mit einem sanften Klirren aus dem Bauch des Schweins auf den Fußboden. Er starrte auf das Massaker. Einen Moment lang bedauerte er, dass das Schwein kaputt war. Der Hammer hatte so optimal in seiner Hand gelegen und er hätte es gerne noch einmal zertrümmert. Er sortierte die Münzen und Scheine in eine kleine Plastiktüte und wickelte die Scherben in den Kissenbezug.

Das Geldpäckchen war schwer

Das Geldpäckchen, das er in einem Turnbeutel auf dem Rücken trug, war schwer, es musste eine ganze Menge zusammengekommen sein. Er schloss sein Fahrrad am S-Bahnhof an, stürmte die Treppen nach oben und schob sich im letzten Moment in die Ringbahn. Die Türen schlossen sich mit einem Dreiklang. Die Bahn war übervoll, kein Wunder, an einem Samstagnachmittag. Er wäre gerne schon früher losgegangen, aber er hatte gewartet, bis der Vater im Fernsehsessel eingeschlafen war und seine Mutter mit einer Freundin telefonierte. Schnell verabschiedete er sich von ihr und murmelte etwas von Hausaufgaben bei einem Freund. Seine Mutter nickte und strich ihm abwesend übers Haar. Direkt neben seinem Ohr zischte es und als er sich zur Seite wandte, sah er, dass ein älterer Herr eine Bierflasche geöffnet hatte und mit großen Schlucken daraus trank. Normalerweise hätte ihn das genervt, aber heute blieb er gelassen. Er stellte sich vor, wie er die endlosen Regale des Elektrofachhandels entlanggehen würde, sich vom Verkäufer beraten und dann endlich das Computerspiel kaufen würde, von dem seine Kumpels nicht aufhörten, zu erzählen. Vielleicht gäbe es sogar schon eine aktuellere Version, mit besserer Grafik und neuen Challenges. Er sah sich selbst am Montagmorgen das Spiel lässig auf den Tisch seines Schulkameraden werfen. Vielleicht würde er sich großzügig zeigen und es dem einen oder anderen ausleihen – selbstverständlich erst dann, wenn er es durchgespielt hatte.

Die Folie knisterte

Die Folie knisterte, als er das Computerspiel aus dem Regal zog. Es war genau das, was er haben wollte. Mit feuchten Händen stellte er sich an der Kasse an, legte das Spiel aufs Band und das durchsichtige Päckchen mit dem Geld direkt dahinter. Die Kassiererin zog eine Augenbraue hoch. „Hast du das vorher mal gezählt?“ Er erstarrte. Es war ihm so viel vorgekommen, dass er überhaupt nicht daran gedacht hatte. Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss und schüttelte den Kopf. Die junge Frau ließ eine große Kaugummiblase platzen und seufzte. Dann knotete sie das Päckchen auf. Er trat von einem Bein aufs andere, die Schlange hinter ihm wurde immer länger. „Glück gehabt“, sagte sie schließlich nach einer Weile, die ihm endlos vorgekommen war. Sie fragte, ob er den Kassenzettel haben wolle und wünschte ihm ein schönes Wochenende. Draußen atmete er tief ein, steckte die Hände in die Taschen. Jetzt, wo er das Spiel sicher bei sich wusste, hatte er es auf einmal nicht mehr eilig. In der Ferne läuteten Glocken, der Wind wehte Gesprächsfetzen der vorübereilenden Passanten zu ihm und nicht weit entfernt zischte eine Wurst, die auf einen heißen Rost gelegt wurde. Er hörte seinen Magen knurren, seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen.

Als er sich umdrehte, sah er das Mädchen

Plötzlich legte sich rhythmisches Trommeln über den Klangteppich der Stadt, und als er sich umdrehte, um das Geräusch zu lokalisieren, sah er das Mädchen. Sie war etwas jünger als er, hatte dunkles, ungewaschenes, beinahe verfilztes Haar und sie trug eine Jacke, die zu kühl war für diese Jahreszeit. Sie saß auf einer pinken Decke, nein, einem Tuch, direkt neben dem Eingang des Elektrofachhandels und trommelte mit zwei Stöcken auf Holklötzchen, die sie vor sich aufgebaut hatte. Ihre Hände waren flink, sie machte ihre Sache gut und während sie trommelte, ließ sie den Blick schweifen. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, sie lächelte. Sie hielt inne und winkte ihm mit einem Gegenstand, den sie vor ihren selbstgebauten Musikinstrumenten abgestellt hatte. Es dauerte einen Moment, bis er erkannte, was sie in der Hand hielt. Es war ein rotes Sparschwein aus Plastik, ein billiges Werbegeschenk, und winzig im Vergleich zu seinem. Er sah den Vater vor sich, er sah seinen vorwurfsvollen Blick, den er immer bekam, wenn er der Meinung war, dass er Geld verschwendete. Von einem Augenblick zum nächsten fühlte sich alles falsch an. Das Blut pochte in seinen Schläfen, als er in den Laden zurückging. Er bekam kaum mit, dass die Kassiererin ihn ansah, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank, es war ihm auch egal. Mechanisch steckte er das Geld in seine Hosentasche, ein Zwei-Euro-Stück behielt er in seiner zur Faust geballten Hand. Das Mädchen saß noch an der gleichen Stelle. Er bückte sich zu ihr hinunter und ließ die Münze in den Schlitz ihres Sparschweins fallen. Zuhause würde er sein Schwein zusammenkleben, das nahm er sich fest vor.

Foto: https://unsplash.com/@spanic

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Hanne Landbeck

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