Der Krimi ist ein Gefäß, wir werfen alles rein, was uns gefällt. Und auch das, was uns nicht gefällt. Die Bücher (und Filme) wimmeln nur so von Ängsten und Hoffnungen, Intrigen, Entführungen, Verschwörungen, Mord, Totschlag, Hass. Auf der anderen Seite schimmern die Liebe, das Kulinarische, die Regionen mit ihren Landschaften und Mentalitäten und vor allem: die Gerechtigkeit.
Das Genre nimmt und: stirbt nicht
Das Genre nimmt und: stirbt nicht. Totgesagt war es schon von Anfang an, als es „nur“ als Buch daherkam. Nicht ernst zu nehmen von der Kritik. Bis auf ein paar Ausnahmen natürlich: Dashiell Hammett, Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle (das ist der mit Sherlock Holmes), Agatha Christie, Patricia Highsmith …
Warum nur?, fragen sich verzweifelt die echten LiteratInnen, die echten LiteraturwissenschaftlerInnen, warum nur ist dieses Genre so ungemein beliebt?
Der Kriminalroman hatte lange zu kämpfen, bis er in die Weihen der Kritik aufgenommen wurde. Andrea Camillieri bedauerte das noch 2006 in „Die schwarze Seele des Sommers“:
„Dann las er (Montalbano) bis elf einen schönen Krimi zweier schwedischer Schriftsteller, eines Mannes und einer Frau, die miteinander verheiratet waren. Darin gab es keine Seite ohne einen scharfen und begründeten Angriff auf die Sozialdemokratie und die Regierung. Im Geiste widmete Montalbano ihn allen, die es für unter ihrer Würde hielten, Kriminalromane zu lesen, weil es sich ihrer Meinung nach nur um einen Zeitvertreib für Rätselfreunde handelte.“
Anfangs als läppische, mit der schnellen Feder geschriebene Unterhaltungsliteratur abgetan, findet im Verborgenen schon seit Jahrzehnten die ernsthafte Betrachtung des Phänomens statt. Schon Ernst Bloch schrieb 1960 die “Philosophische Ansicht eines Detektivromans”:
„[…] Etwas ist nicht geheuer, damit fängt das an. Aber zugleich muß nach dem Weiteren, das hier das Nähere ist, gesucht werden. Nach einem versteckten Wer ist gefragt, wird dergleichen freilich erzählt, wird es nicht hoch angesehen. Ist wenig gelobt und viel gelesen, auch von denen, die es verachten, was liegt da vor? Der Fall selber muß etwas in sich haben, so ganz nebenbei.“
Und Luc Boltanski folgte 2012 mit der soziologischen Abhandlung “Rätsel und Komplotte“. Da erscheint der Krimi als logische Folge der modernen Welt, in die das Rätsel als neue Form unseres Misstrauens gegenüber der Gesellschaft passt. Manche sehen den Krimi inzwischen sogar als die „ideale Form des Gesellschaftsromans“ (wie z.B. Gabriele Wolff, 2005).
Meist kinderlos und vor allem nachts
Denn zu zahlreich wird gemordet und dem Mord nachgegangen, er aufgespürt, analysiert, der/die Täter entlarvt, die Ordnung wieder hergestellt. Dem einsamen Detektiv folgte die einsame Detektivin, gerne mit dem Asperger Syndrom (Gil Ribero, Lost in Fuseta/ Lisbet Salander in der „Millenium“-Reihe von Stieg Larsson), meist kinderlos und vor allem nachts, wenn schon nicht ermittelnd, dann wenigstens wach liegend, einen verzweifelten Blick auf die leeren Schnapsflaschen werfend wie Louise Bonì von Oliver Bottini, wenn sie schon nicht mehr daraus trinken darf.
Gefräßig und kulinarisch
Der Krimi ist zugleich gefräßig und kulinarisch. Er verleibt sich alles ein, was es an Themen gibt. Wir brauchen nicht darauf zu wetten, wann der erste Corona-Krimi erscheint, es gibt ihn bereits: Tödliche Quarantäne von Alessandro Nonno spielt auf einem Kreuzschiff. Die Themen sind so breit gefächert wie die Gesellschaft. Kaum gehen Flüchtlinge im Mittelmeer über Bord, gibt es den entsprechenden Krimi dazu. Die ersten Hacker-Angriffe fanden als fiktive Handlung statt. Ändert sich etwas in der Gesellschaft, nimmt der Krimi es sofort auf und gestaltet die Elemente nach seinen Bedürfnissen.
Am liebsten wandeln wir auf Mordsspuren in französischen oder italienischen Gefilden; Martin Walkers “Bruno, chef de police” ist ein wahrer Touristenmagnet. Viele Besucher kommen extra wegen des fiktiven und doch vorhandenen Dorfpolizisten in den Périgord. Und sicher auch wegen des Trüffels, des schwarzen Goldes, der zu manchem Mord anstiftet. Aber auch vielen LeserInnen das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Offenbar ist das Bedürfnis nach Essen und nach Landschaft groß. Vielleicht beruhigend?