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Essen und Schreiben: Food Writing

Themen-Special Food-Writing

Das Themen-Special Food-Writing führt rund ums Essen zu Blog- oder literarischen Texten oder zu Essays. Der Kurs dauert drei Wochen und präsentiert jeweils in einem Anregungstext das Thema, danach sind die TeilnehmerInnen aufgefordert, ihren aktuellen Text zu schreiben. Erlaubt sind dieses Mal auch Fotos und Instagram-Texte.

Ein paar Gedanken zur (literarischen) Nahrungsaufnahme:

Erbsen, Mohn und Erdbeeren

Was auf den Tisch kommt, wird gegessen – sagte mein Vater und erinnerte damit an die Hungersnöte, die auch in Deutschland geherrscht haben. Diese sind nun weitergezogen, doch ist der Hunger nur bedingt das Gegenteil des Essens. Denn ab und zu kann er die Vorstellung von Genüssen so weit treiben, dass einem förmlich das Wasser im Mund zusammen läuft (nachzulesen bei Günter Grass, Beim Häuten der Zwiebel, pp. 200ff.).

Fischsüppchen mit gegrilltem Brot

Das ist das Geheimnis der Literatur und guter Food-Blogs, die mit dem Essen spielen: Die LeserInnen stellen sich automatisch das Essen vor. Manchmal meinen sie sogar, es zu riechen und zu schmecken – je nachdem, wie intensiv es beschrieben ist. Wir verfügen über Synapsen, die auch Spiegelneuronen genannt werden: Diese ermöglichen, dass wir uns mit den ProtagonistInnen an den Speisen laben – oder davon abwenden. Die Buddenbrooks wären vielleicht nur halb so berühmt, wenn man nicht im “Speisesaal” das Fischsüppchen mit gegrilltem Brot kosten dürfte. Nebenbei symbolisieren die Speisesaal-Situationen auch den “Verfall der Familie”. Sogar die Revolutionäre der französischen Commune bedachten in ihrem Revolutionskalender die Monate nach den kulinarischen Möglichkeiten. Der “Wiesenmonat” (Prairial) erstreckt sich vom 20. Mai bis zum 18. Juni. Er bietet Erbsen, Mohn und Erdbeeren als Früchte, aber auch Wachtel, Ente und Schleie. Schließlich muss der Revolutionär ordentlich was in den Magen kriegen. Ganz nebenbei zeigt “der Mohn”, dass das Essbare Auslegungssache ist. Es variiert in der Geschichte und von Kultur zu Kultur. Mohn wird vielleicht  bald als Superfood gelten. Wir müssen nur ein bisschen warten.

Für die Hungrigen der Lebensinhalt

Essen ist eigentlich immer groß in Mode. Für Hungrige der Lebensinhalt, für Magersüchtige Hassobjekt, für Dicke eine Verführung, für  Veganer ein logistisches Problem, für Feinschmecker eine Philosophie, für Ernährungswissenschaftler eine Wissenschaft. Kurz: Es kann alles sein – und manchen sogar gar nicht wichtig. Viele ernähren sich aus dem Weggeworfenen: diejenigen, die in Slums leben, gezwungenermaßen. Jene Kapitalismuskritiker, die den Finger auf die Wunde legen, klettern in die Mülleimer der Supermärkte und bereiten daraus schmackhafte Gerichte.

 

Der Mensch ist, was und wie er isst: Soziale Distinktion durch Nahrungsaufnahme

Wir leben in einer Zeit, in der das Essen stärker als zuvor eine Lebenseinstellung spiegelt. Und die soziale Schicht, in der wir leben. Kochshows und -blogs boomen, denn Essen (und die Kenntnis seiner Zubereitung) bedeutet immer auch soziale Distinktion. Ob da Schnecken auf den Tisch kommen oder das Neuland-Rind, gar kein Fleisch, exklusive Kulinaria, Discounter-Ware oder der krause Kohlkopf aus der Biogärtnerei: Das ist jeweils ein Zeichen der sozialen Gruppe und der entsprechenden Möglichkeiten, Ansprüche und Grenzen. Immer schon spiegelt sich in der Literatur auch die Nahrung. Da selbige inzwischen ein Problempaket ist, wenden sich AutorInnen dem Essen im Pamphlet (“Tiere essen” von Jonathan Safran Foer) oder Erlebnisbericht  (“Anständig essen” von Karen Duve) zu. Aber es geht  kulinarisch-literarisch auch mit und ohne Rezept. (“Es muss nicht immer Kaviar sein” von Johannes Maria Simmel oder “Der Koch” von Martin Suter).

Sushi mit Leberwurst

Essen in der Literatur – wie im Leben – kann die Familie oder die Freunde und Nachbarschaft charakterisieren, sie auseinander bringen oder wieder versöhnen (wie bei Babettes Fest). Natürlich kann Essen auch Türen öffnen: zu den Herzen der Geliebten, aber auch zu einer anderen Kultur. Dass manche Lebensmittel  aphrodisierend wirken, ist bekannt. Der Granatapfel, alles “Scharfe”, Meeresfrüchte und Trüffel sollen vom Tisch direkt ins Bett führen. Andere Länder, andere Sitten: Hunde, Schildkröten und Ameisen spielen auf unserem Speisezettel keine Rolle (mehr), aber in anderen Kulturen schon. Und manche findige Köche fusionieren fremde mit eigenen Zutaten in der Fusion-Küche, mein neues Leibgericht heißt Sushi mit Leberwurst.

Surströmming essen

Es gibt Nahrung(smittel), bei deren Anblick der Appetit eher nicht aufkommen möchte, so liebevoll diese auch zubereitet sein mögen – wie z.B. das Weltraumfood für Alexander Gerst, für den es sogar „Maultäschle“ gibt. Bei allem Neid: Essen im Weltraum scheint kein Vergnügen zu sein und ist zudem noch eine sportliche Herausforderung.

Haben Sie schon einmal Suströmming gegessen?

 

Diese Dose wölbt sich, weil auch während der verschlossenen Lagerung der Fisch darin weiter gärt. Und das riecht – bzw. stinkt:

Was auf Deutsch recht harmlos wie „saurer Hering“ klingt und manchem Nordschweden früher sicher das Leben gerettet hat, mutet heutzutage wie eine Strafe an: Als unsere schwedischen Freunde Surströmming mitbrachten, waren wir eher not amused. Obwohl sie die Dose im Freien öffneten, stank das gesamte Haus eine Woche lang nach dem „verfaulten Fisch in der Dose“ (das wäre meine Übersetzung) und mein eigentlich höflicher Vater verabschiedete sich nach wenigen Minuten. Zum verfaulten Fisch gibt es süßes schwedisches und dazu noch weiches Brot und – nach jedem Bissen – einen Aquavit. Wahrscheinlich veranstalten manche Schweden dieses Essen nur wegen des Aquavits. Sonst gibt es heutzutage keine einleuchtende Erklärung für diese Folter, die sich „Spezialität“ nennt. Übrigens wurde einer Deutschen, die absichtlich Surstömming-Brühe an Weihnachten (!) in einem Mietshaus verschüttete, im Jahr 1981 gekündigt. Das Landgericht Köln bestätigte die Kündigung, nachdem während der Verhandlung eine Dose Surströmming geöffnet worden war.

Titelfoto: Lily Banse (Unsplash)

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