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Warum ich schreibe – Ein Testimonial von Tonie Richter

Fantasie

Fantasie – zum Glück

Wie Fantasie zum Glück beiträgt,, beschreibt Toni Richter in diesem Artikel.

Warum ich schreibe – von Tonie Richter

Tonie Richter, 47, lebt in Berlin. Sie studierte Jura in Hamburg und Paris, arbeitet als Juristin, ist verheiratet und hat vier Kinder. Dieser Text entstand zu Beginn des Online-Kurses Literarisches Schreiben

Schreiben in der Nacht

Meine letzte Schreibphase 2016 dauerte von Anfang Oktober bis Anfang November. Ich schrieb abends und bis  tief in die Nacht, wenn die Kinder schon schliefen und mein Mann nicht da war. Es war wie in den lange zurück liegenden Zeiten meiner Doktorarbeit, die ich in der letzten, intensiven Phase immer zwischen 19 Uhr abends (nach den Vorabendserien im Fernsehen) und drei Uhr nachts schrieb. Dann schlief ich bis mittags, kaufte ein, kochte (die erste Mahlzeit am Tag war meist das Mittagessen), las am Nachmittag Quellen und Fachtexte, ging in die Bibliothek und machte Recherchen und Notizen. Keine Textproduktion! Dann kam „Verbotene Liebe“ oder „Unsere kleine Farm“ – die Vorabendserien konnten nicht kitschig genug sein –  und dann setzte ich mich an den Schreibtisch, hörte Streichquartette und tippte. Das Beste: nachts geschriebene Texte musste ich kaum überarbeiten. Sie waren einfach gut. Versuchte ich die Textproduktion am Vormittag – gar keine Chance. Jeden Satz musste ich dreimal umdrehen.

Soziale Isolation

Wie man sich unschwer vorstellen kann, lief dieser Lebensrhythmus allerdings auf soziale Isolation hinaus. Viele Mal versuchte ich auch, ihn zu ändern, um wieder am Leben teilzunehmen: wie andere morgen zu schreiben und abends auszugehen oder zum Sport. Vergeblich, und irgendwann ließ ich es laufen. Das Ende war ja absehbar: drei Monate, dann war die Arbeit fertig. Um drei Uhr nachts hatte ich den letzten Satz geschrieben, in einer lauen Sommernacht in Hamburg. Ich feierte ganz allein mit einer Zigarette auf meinem Balkon und fühlte mich seltsam. Dann begann ich langsam wieder zu leben.

Ich liebe erste Sätze

Siebzehn Jahre liegt das zurück. Mittlerweile kann ich auch zu andren Tageszeiten schreiben, eigentlich immer. Ich brauche aber Zeit und in den Wochen vor Weihnachten in einer Familie mit vier Kindern ist Zeit definitiv etwas, was man nicht hat. Aber nun sind die Kinder wieder in der Schule, die Büroarbeit gerade überschaubar und schon tun sich wieder Zeitfenster auf. Tatsächlich muss ich gar keine Idee haben, wenn ich mich an den Schreibtisch setze, ich muss einfach nur anfangen zu tippen. Ich liebe erste Sätze, der Rest ergibt sich dann meist von selbst.

Warum schreibe ich?

Zunächst einmal: für mich!

Seit ich Sätze auf Papier bringen kann, schreibe ich. Ich habe viele Tagebücher gefüllt. Das Schreiben nur für mich half mir immer, Probleme zu ordnen und zu lösen. Das hat immer funktioniert: wenn ich darüber schreibe, werde ich damit fertig. Oder sehe einen Weg: weiß, was zu tun ist, ob ich mich trennen soll oder an dem Partner festhalten, ob ich beruflich diese oder jene Richtung einschlagen soll – ich habe es mit Menschen besprochen, denen ich vertraue, und dann geschrieben. Immer, jedes Mal, ging es mir danach besser. Schreiben hat mir etwas gegeben, was ich zum Beispiel durch Klavierspielen, was ich auch sehr gern tue, nicht erreichen konnte. Schreiben war notwendig, unvermeidbar, Bedürfnis. Für die Fantasie – für mich.

Ich schreibe nicht mehr nur für mich

Aber das allein ist es nicht: ich schreibe nicht nur  oder nicht mehr nur für mich. Meine Reisetagebücher durfte schon immer jeder lesen, der wollte. Na gut, nicht jeder, aber freundliche Menschen, die ich kannte. Darin standen viele sehr persönliche Eindrücke, besonders persönlich so in der Zeit zwischen 12 und 16. Hier schrieb ich also für andere, ich wusste ja von vornherein, dass die Berichte gelesen werden würden. Diese Tagebücher, in die ich auch viel eingeklebt habe  – Postkarten, Zeichnungen, Fundstücke, Münzen, Eintrittskarten und später auch Fotos – dienten dazu, die Gegenwart der Reise fest zu halten. Den (schönen) Augenblick auf Papier zu bannen um so einen Anhaltspunkt zu haben für die Erinnerung. Und beim Schreiben: um alles noch einmal zu erleben, was am Tag (oder dem Vortag, ich war ganz schön oft mit den Einträgen im Verzug) geschehen war.  Tagebücher von Reisen habe ich also geschrieben, um den Moment fest zu halten.

Meine Geschichten habe ich bisher nicht für eine Öffentlichkeit geschrieben.

Meinen ersten Roman, der wie viele andere erste Romane bei 150 handgeschriebenen Seiten stecken blieb, schrieb ich mit 14. Verliebt natürlich. Geschrieben habe ich dieses Werk nicht für irgendein Publikum, nicht mal vertraute Menschen durften einen Blick hineinwerfen. Der Grund für diesen Romanversuch war eigentlich, eine Geschichte zu erfinden, die ich erleben wollte und mit dem Schreiben wurde sie in gewisser Weise wahr. Realität schaffen, zumindest Buchrealität. Grund für das Schreiben also hier: etwas erschaffen, das hätte wahr sein können.

Dieses Gefühl des Autors

Dieses Gefühl des Autors, der die Fäden in der Hand hält, der seine Figuren steuert und sie leben lässt, hat mir auch zuletzt (im Kurs Kreatives Schreiben) gut gefallen. Zugleich entfalten diese Figuren, die meine Fantasie ausgedacht hat, eigenartiger Weise ein Eigenleben! Ich kann sie eigentlich steuern, klar, aber wie meine Finger so über die Tasten fliegen, tun die Figuren oftmals Sachen oder sagen Dinge, die plötzlich dastehen und mit überraschen. Ich sehe die Figuren wie in einem Film agieren, ich höre sie fast. Das ist ein Abenteuer und macht vor allem auch Spaß!

Ich lasse jeden Text mindestens eine Nacht liegen und überarbeite ihn dann noch einmal. Ich mag diese Feinarbeit, das Umdrehen von Sätzen, Kürzen, Einfügen, das Feilen an der Sprache. Mit einem einzigen ausgetauschten Adjektiv kann man eine ganze Szene in ein anderes Licht rücken.

Der Autorenblick

Was mir auch gefällt: der Autorenblick. Mit einer Geschichte im Hinterkopf, auf der Suche nach Ideen und Merkmalen, die man beschreiben könnte, geht man wacher durch den Alltag und beobachtet genauer. Dadurch erlebt man eine U-Bahn-Fahrt bewusster, schaut die Menschen an anstatt nur auf das eigene Smartphone (was man in aller Ruhe tun kann, denn wirklich jeder ist mit seinem Smartphone zu beschäftigt, um zu bemerken, dass man ihn beobachtet!). Manchmal mache ich mir dann schon während der Fahrt ein paar Notizen – natürlich auch ins Smartphone – oder suche nach guten Beschreibungen für den Ausdruck in einem Gesicht oder die Geräusche, die ich gerade höre.

Wenn ich nicht schreibe, meist aus Zeitmangel, fehlt es mir. Ich sehne mich danach, wieder Realität (oder eine fiktive Realität oder eine magische unwirkliche Realität oder eine Fantasie wie einen Regenbogendrachen) auf Papier zu bannen. Manchmal kann ich aber auch Pause machen und zum Beispiel einfach aufs Meer schauen ohne im Kopf nach Worten zu suchen, die beschreiben könnten, was ich gerade sehe.

Foto: Laura Chouette, Unsplash

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