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Fremde

Speed-Writing: Der Fremde – Short short Story

1 Story an einem Tag: Speed-writing (den Kurs machen wir für Interessierte auf Nachfrage)
Nadine Hilmar lebt mit Mann und drei Kindern in einem Familienprojekt in Wien

Der Fremde

Es klopfte an der Tür und Kahl zuckte zusammen. Es war genau das Klopfen, das er schon sehr gut kannte. Zu gut kannte. Das ihm Angst machte. Ihm unheimlich war. Ihn panisch werden ließ. Doch es hörte nicht auf. Kahl wusste, dass es nicht aufhören würde. Das tat es nie, bis er endlich aufstehen und zur Tür gehen würde. Doch er stand nicht auf. Noch nicht. Es klopfte erneut. Etwas lauter.

 

Dann herrschte wieder Stille. Die ihm vertraute Stille. Seine Stille. Vielleicht würde es ja doch aufhören, dieses Klopfen. Wenn er einfach nicht hinhören würde. Wenn er es einfach ausblenden würde. So, wie alles andere in seinem Leben. Sein Leben. Was war das eigentlich noch. Dieses Fragment Etwas. Das Liegen und Warten darauf, dass die Zeit vergeht. Damit eine neue Zeit kommt. Oder ein neues Klopfen. Da war es wieder. Es hörte also nicht auf und so schlug er das Leintuch zur Seite und stand auf. Einen Moment hielt er sich am Türstock fest, bis sein Kreislauf bemerkte, dass er nun aufrecht war. Auferstanden. Um dem Klopfen zu begegnen.

Hinter der Tür sah er den Schatten der Gestalt, die geklopft hatte. Diese gebückte Figur mit dem Hut. Scheinbar freundlich und doch hartnäckig und zäh. Der Fremde.

Kahl riss die Tür auf und noch bevor der Fremde etwas sagen konnte, fetzte Kahl ihm ein “Was wollen Sie???” entgegen.

Und wie immer antwortete der Fremde mit: “Ich will Ihnen helfen. Lassen Sie mich Ihnen helfen.”

“Indem Sie mich ausfragen? Meine Geschichte hören wollen? Eine Geschichte daraus stricken und damit Geld verdienen? Die Sensationslust der Menschen stillen? Das ist es doch, was Sie wollen!” Kahl war hochrot.

Der Fremde lächelte und schüttelte den Kopf. “Sie verstehen nicht.” Doch bevor er weiterreden konnte, schmetterte Kahl ihm die Tür entgegen, dass es im ganzen Haus widerhallte. Dann ging er in die Küche, stützte sich auf die Abwasch und schrie. Er schrie so laut, dass es ihm im Hals weh tat. Doch im Bauch tat es gut und deshalb schrie er weiter. Lauter. So lange, bis sein Schreien in ein Schluchzen überging, er weinte und zu Boden sank. Dort schlief er erschöpft, an das Tischbein des Küchentisches gelehnt, ein.

Ein Klopfen riss ihn aus seinem Tischbein-Schlaf. Kahl stöhnte laut auf. “Nicht schon wieder”, murmelte er. “Nicht. Schon. Wieder.”

Doch es war ein anderes Klopfen. Kahl erkannte es. Es war das mitleidige Klopfen seiner Nachbarin. Er reagierte nicht. Es klopfte noch einmal. Zaghaft mitleidig. Fragend. Besorgt. Kahl rührte sich nicht. Dann hörte es das Geräusch von Metall auf Beton. Sie hatte ihm scheinbar wieder eine Schüssel Essen gebracht und vor die Tür gestellt. Kahls Magen knurrte. Das musste wohl Hunger sein.

Aber er wollte nichts essen. Wollte nichts annehmen und nicht zugeben, dass er Hilfe brauchte. Hilfe. Die hatte auch der Fremde ihm angeboten. Dieser seltsame Fremde, die gebückte Figur mit dem Hut, von der er noch immer nicht wusste, was sie wirklich von ihm wollte. Erzählen sollte er ihm von seiner Geschichte. Von dem Unfall. Und von allem, was dann kam. Was konnte er anderes sein als ein Journalist, der damit Geld verdienen, damit die grosse Story schreiben wollte, über die alle sprachen, von der doch niemand etwas wusste. Von der alle darauf brannten, sie zu erfahren.

Kahl stand auf und nahm sich ein Glas Wasser. Er trank es langsam und schaute dabei aus dem Fenster. Hinaus auf die Küstenstrasse vor seinem Haus. Das Meer tobte heute und Wellen schlugen hoch hinter der Straße hervor. Weit und breit war niemand zu sehen. Kahl schaute auf den Kalender neben der Küchentür.

Es war Sonntag. Deshalb war niemand zu sehen. Alle waren zu Hause. Bei ihren Familien. Auf Ausflügen. Doch nicht hier auf dieser abgelegenen Straße, weit hinten im Dorf. Wo die Wellen tobten, und wo er wohnte. Kahl. Der fragwürdige Kahl. Von dem niemand etwas wusste, den niemand wirklich kannte. Und dem sie nun diesen Fremden geschickt hatten. Der hartnäckig und zäh an seine Tür klopfte. So oft, bis er öffnete. Um dann immer die gleichen Fragen zu stellen. Wenn er denn dazu kam. Wenn Kahl ihm nicht vorher schon die Tür vor der Nase zuknallte. Und er dennoch immer und immer wieder kam. Warum?

Da hatte Kahl eine Idee. Eine Story. Eine Geschichte wollte der. Wissen, was hier los war, bei Kahl. Was geschehen war und wie es Kahl ging. Helfen wollte er. Nun würde Kahl ihm helfen. Dem Fremden. Würde ihm seine Geschichte liefern. Die Top Story, auf die er so brannte. Kahl lief hinauf ins Obergeschoss. Er lief so schnell, wie er seit Monaten nicht gelaufen war. Außer Atem kam er oben an und ging in sein Arbeitszimmer. Er schaltete den Laptop an. Dieser begrüßte ihn mit einem freudigen Signal. Als hätte er nur auf Kahl und dessen Idee gewartet. Er öffnete das Schreibprogramm und tippte los. Und tippte, dass ihm die Finger nach kurzer Zeit weh taten.

Dann spürte er den Hunger zurück in seinem Magen und kurz entschlossen lief er die Treppe wieder hinunter, öffnete die Haustür und nahm die Schüssel, die seine mitleidige Nachbarin ihm stehen gelassen hatte. Aus der Küche holte er eine Gabel und lief dann wieder hinauf ins Arbeitszimmer. Er tippte und schaufelte gleichzeitig das Essen in sich hinein. Gleich darauf verschluckte und vertippte er sich.

Er vergass die Zeit und die Welt einmal mehr. Und als es finster war und nur der Schein seines Laptops noch erstrahlte, ließ er sich erschöpft zurückfallen. Dann schaltete er den Drucker ein und alle Worten, die nun nach Monaten aus ihm heraus gesprudelt waren, fielen auf Papier zu Boden. Eins nach dem anderen hob er auf, rückte dann den Stapel zurecht und legte ihn unten neben die Tür. Dort würde er liegen, bis der Fremde wieder klopfte.

Es dauerte nur wenige Tage, als die gebückte Gestalt vor der Tür stand, das Klopfen wieder erklang. Kahl sprang aus seinem Sessel und stürmte zur Tür. Er hielt dem Fremden den Stapel Papier hin und sagte: “Bitte, Ihre Geschichte. Und nun verschwinden Sie!” Der Fremde nahm überrascht den Stapel entgegen und begann zu lesen. “Der Fremde”, stand da und was er dann las, ließ ihn erschauern. Er rannte. Er rannte davon, so schnell er konnte und wurde nie wieder gesehen.

Das Speed-Writing ist ein Angebot von schreibwerk berlin auf Nachfrage. Sie schreiben eine Story an einem Tag. Wir helfen Ihnen dabei.

Photo by Egor Myznik on Unsplash

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Hanne Landbeck

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