Das Corona-Tagebuch: weitere Texte
Das Corona-Tagebuch war ein Themen-Special von schreibwerk berlin. Es lief vom 23. März bis zum 1. Mai 2020. Dann zerbrach es wie die übrige Gesellschaft in Gläubige und Ungläubige. Die hier zu lesende Ausgabe hat den Titel: Corona-Tagbeuch: Träumen
28. März 2020
Beate van den Berg
Heute Morgen, ach du Schreck,
blieb mir meine Stimme weg.
Lieber Gott, es ist soweit,
das Virus macht sich in mir breit.
Doch dann kam mir ein Geistesblitz:
der Herr erlaubt sich einen Witz.
War ich doch gestern auf den Wiesen,
unter Pollen, diesen fiesen.
Doch der Schreck, der hat gesessen,
ich werd´ ihn so schnell nicht vergessen.
Corona-Tagebuch: Träumen
Lakrimo – Jetzt ist nichts mehr los
Meine Mutter ist 87 und wohnt in einer Kleinstadt in Mecklenburg und ist eigentlich jeden Tag unterwegs. Sie besucht die „Alten“ im Altersheim, geht zu ihrem Freitagsstammtisch im Café und ist auch sonst immer dabei, wenn was los ist. Jetzt ist nichts mehr los. Stiefmütterchen kaufen („Ich war die Einzige im Laden.“) und sie auf dem Grab von meinem Vater einpflanzen, ist jetzt das, was noch geht. Und telefonieren. Sie erzählt von einer Beerdigung, auf der sie Anfang der Woche war, vom Abstand halten am Grab, von der schönen Rede, die sehr laut gehalten werden musste, weil ja alle so weit auseinander standen. Zum Kaffee sei sie dann doch nicht mitgegangen.
Eigentlich wollten wir an diesem Wochenende gemeinsam mit meiner Schwester einen Ausflug nach Stralsund machen – unser Geburtstagsgeschenk, organisiert im Februar, abgesagt im März. Die Pension storniert, die Fahrkarten in Gutscheine verwandelt. Wann wir sie wohl einlösen werden? Mama freut sich, dass sie mal ruhiger treten kann, sagt sie.
Den Rest des Tages zieht es mich nach draußen. Der Hof will Zuwendung: Steine karren, Rasen harken, Äste schneiden. Abends die letzte Folge von „Picard“ (einst Captain des Raumschiffs Enterprise) mit Josch im Erschöpfungsmodus. Das biologische Leben in den Galaxien ist nicht ausgelöscht, die Androiden sind anerkannte Mitglieder der Föderation und wir können beruhigt schlafen gehen. Wenn das mal nicht gute Neuigkeiten sind.
Corona-Tagebuch: Träumen
29. März 2020
Rita Lindner – Hase und Igel
COVID-19 ist der Wissenschaft immer einen Schritt voraus. Gerade erklärte ein Virologe im Fernsehen noch, dass es unwahrscheinlich sei, dass das Virus von Hunden auf Menschen, und unmöglich, dass es von Katzen auf Menschen übertragen wird. Jetzt lese ich im Internet, das in Belgien zum ersten Mal eine Katze positiv auf COVID-19 getestet wurde. Sie hatte sich bei ihrem Menschen angesteckt. “Bisher gibt es keinen Beweis dafür, dass ein Haustier das Virus auf Menschen oder an andere Haustiere übertragen kann”, erklärte die zuständige belgische Behörde. Aber wenn das Virus in die eine Richtung wandern kann, kann es das wirklich nicht auch in die andere Richtung?
Die Nachbarn, die gegenüber der Rückseite unseres Hauses wohnen, sitzen draußen auf ihrer Terrasse. Es sind nur fünf Grad, und sie sind dick eingemummelt. Sie rauchen nicht, was oft der Grund für einen Aufenthalt vor der Tür ist, sie sitzen einfach nur da. Ich muss an den Hofgang von Gefängnisinsassen denken, die auch einmal am Tag an die frische Luft dürfen.
Ich habe heute darauf verzichtet. In den letzten Tagen allerdings, als es zwar kalt, aber sehr sonnig war, hatte ich mich im Anorak und mit Wolldecke auf meine Gartenliege gelegt. Und statt wie drinnen mit Kopfhörern den Songs von Melanie Safka dem Vogelgezwitscher gelauscht. Die Wildtiere müssten eigentlich glücklich sein über die Ausgangsbeschränkungen der Menschen. Sie laufen zum Beispiel weniger Gefahr, auf den Straßen überfahren zu werden. Oder kommen sie jetzt nicht so gut an Futter? Die Enten füttern wird wohl zurzeit kaum jemand.
Corona-Tagebuch: Träumen
30. März 2020
Petra Pieper-Rudkowski – Lernzeit Corona
Wissen Sie eigentlich schon, dass es im Wald tatsächlich keine Räuber gibt? Die sind nämlich alle geflohen, der Wald bietet ihnen keine Lebensgrundlage mehr.
Warum das so ist? Das kann ich Ihnen sagen.
Wie bitte? Ach, das wissen Sie schon lange!
Ja, natürlich fahren keine Kutschen mit goldbehangenen Freifrauen und Kisten voller Gold mehr herum. Pilgernde Mönche hat man seit Jahrzehnten nicht mehr zwischen den Bäumen gesichtet. Auch edle Ritter sind heutzutage Mangelware im Wald. Und selbstverständlich sind unsere Wälder kleiner geworden, auch dank des Borkenkäfers.
Den wahren Grund für räuberfreie Wälder habe ich Dank der Corona-Zeit erfahren. Jeden Tag streife ich durch den Wald. Je nach Tageszeit sehe ich andere Wanderer und zu penibel festgelegten Zeiten ist der Wald voller Hunde. Da kann statistisch kein Räuber überleben. Um 7.00 Uhr, um 13.00 Uhr und um 17.00 Uhr setzt sich aus unserer Reihenhaussiedlung eine Karawane gen Wald in Bewegung. Große, Kleine, Dicke, Zierliche, welche mit Hundepullover und andere mit rosa Schleife. Immer gehört ein Mensch zu eins, zwei, drei oder sogar vier Hunden. Und zu einem Hund gehört mindestens ein größerer oder kleinerer Haufen, manchmal versteckt im Unterholz, dem üblichen Räuberversteck und dann wieder direkt auf dem Weg. Mal ehrlich, das geht doch an die Räuberehre!
Was das alles mit Corona-Zeiten zu tun hat und warum das für mich eine Lernzeit ist?
Corona-Zeit = Homeoffice = Bewegung mit social-distance im Wald = die gesamte, große Hundegesellschaft der Siedlung erleben = Lernerfahrung.
In normalen Zeiten fahre ich um 7.00h mit dem Rad zum Bahnhof, der liegt nicht im Wald, und komme um 18.00h zurück, dann ist die Hundekarawane schon wieder in den Häusern verschwunden.
Und noch ein Letztes. Habe heute endlich den „Haufenmacher“ vor unserem Gartentor gesehen. Mit dem gebührenden Abstand von 2m habe ich mit der „Haufenmacher“-Besitzerin ein paar freundliche Worte über Gartenpforte und frischen Haufen wechseln können. Und dann kam sie aus der Manteltasche gekrochen, die schwarze „Haufen-mitnehmen-Tüte“. Was sage ich? Noch eine Lernerfahrung.
Nun warte ich geduldig, ob diese Lernerfahrung sich verfestigt. Meine Waldspaziergänge mache ich nun in der hundefreien Zeit und treffe hoffentlich auf andere fröhliche Gesellen. Der fiesen „Corona-Bande“ bin ich zum Glück noch nicht begegnet.
In diesem Sinne: Im Wald sind keine Räuber!
Corona-Tagebuch: Träumen
31. März 2020
Stefan Gross – Corona-Tagebuch: Träumen
Gut geschlafen und mit Hoffnung aufgewacht, mit einem Gefühl für Richtung, Ausrichtung auf den Tag, was ich alles heute tun will. (Egal ob es geschieht, die Perspektive ist entscheidend.) Heute ist wieder Home-Office-Tag. Ein bisschen Schreibkram und ein paar Telefonate liegen wohl an. Da bleibt schon auch ein bisschen Zeit für Privates. Die Balance zwischen ‘ein Tag Büro und einer zu Hause’ ist gut. Habe Glück mit dieser Regelung, wem soll ich dafür danken? Ich habe beschlossen, den guten Kräften des Universums (nicht nur dafür) zu danken und natürlich danke ich meinen Vorgesetzten, die das so eingerichtet haben.
Was mir aber auch wieder auffiel heute morgen, war die Abwesenheit von Träumen. Seit einigen Tagen fällt mir das schon auf. Ich meine die Abwesenheit dieser surrealen Trips, mit denen ich manchmal wie neu geboren aufwache und mir sage, Herrje, da war ja wieder ganz schön was los im Oberstübchen, was habe ich denn da nur geträumt. Ich habe nämlich auch Phasen, in denen ich fast jeden Morgen in dermaßen verwirrenden Traumgebilden aufwache, dass ich mich erstmal mit allen fünf Sinnen an die Oberfläche meines Alltagsbewusstsein hinaufarbeiten muss, damit ich mich im Wachbewusstsein wieder zurecht finde. Und ich rede hier nicht von mit irgendwelchen Hilfsmitteln beförderten Rauschzuständen, sondern von guten, natürlichen Träumen, aus denen ich erfrischt und gestärkt emporsteige, tatsächlich so, wie neu geboren.
Und ich glaube, dass das Träumen mein bewusstes und auch unterbewusstes Erleben reflektiert, und dass das Träumen deshalb eine Kunst ist. Die Kunst nämlich, in einer andere Welt zu verschwinden, in eine Art Wildnis, die wir nur betreten können, wenn wir schlafen. Der Schlaf, der uns ins Reich der Träume führt, ist vielleicht der letzte uns verbliebene Kontakt mit unserer inneren “magischen” Wildnis, jener irrationalen und surreale Gegenwelt zur alles erklären wollenden Macht unseres Wachbewusstseins, die uns vor allen Gefahren bewahren soll. Und ja, ich habe gerade jetzt in dieser Krise Zweifel, ob das überhaupt in unserer Macht steht, bzw. in der Macht der positivistischen Wissenschaften.
Und aus dem Alltag heute folgendes:
Ich war heute unterwegs auf der Suche nach Klopapier. Bei Aldi war die Palette schon morgens um zehn wieder ausverkauft. Bei Lidl, dm, Rossmann gab es auch keines und wann es wieder welches gibt, wollte oder konnte mir keiner sagen. Und bei “unserem” Rewe am Barbarossaplatz lief das heute so:
Ich frage den Security Mann am Eingang, ob es welches gibt. Er sagt er hat keine Ahnung. Ich frage die Verkäuferin am Gemüsestand, sie sagt, sie wisse es nicht, ich solle nach unten gehen. Ich frage noch eine Verkäuferin, oben am Elevator (Beförderungsband, ähnlich wie Rolltreppe) bevor ich ins Untergeschoss fahre. Sie sagt was von Rolltor, eine Information, mit der ich nichts anfangen kann. Ich gehe unten zum Regal, wo es früher Toilettenpapier und Küchenrollen gab und fühle förmlich den Mangel, die Not, die Rationalisierungsmaßnahmen beim Anblick völlig leerer Regale. Ich denke plötzlich an ‘Rolltor’. Ich gehe umher und denke, was meinte die und sehe das Rolltor zum Lager. Also gehe ich hin. Eine Verkäuferin (hoher Flirtfaktor) kommt mit einer Packung Toilettenpapier lächelnd auf mich zu. Ich bin irritiert. Sie aber ist informiert und deutet auf den unscheinbaren Kopfhörer an ihrem Ohr:
Walki-Talki, Sie sind der Mann mit der roten Jacke und sehen nicht so aus, als würden sie hamstern. Ich fühle mich geschmeichelt, lächle und höre weiter zu: Wir müssen das jetzt so machen, sonst gibts bald gar nichts mehr. Ich schaue ihr in die Augen, doch sie lenkt meine Blick auf das reichlich vorhandene Katzenstreu im Regal gegenüber. Wir verharren eine Weile und testen unseren Sinn für Humor. Bis demnächst, sage ich schließlich und sie lächelt und zischt ab.
Corona-Tagebuch: Träumen
31. März 2020
Andrea Gärtner – Das Leben geht weiter (Corona-Tagebuch: Träumen)
Das Leben geht weiter. Merkt ihr es auch? Es mag sich fremd anfühlen und beängstigend. Aber es wird auch – je länger diese merkwürdige Situation anhält – alltäglicher.
Das Leben geht weiter – und dazu gehört paradoxerweise auch, dass im Frühling neues Leben auf dem Friedhof einkehrt. Einkehren muss! Zumindest ist das für viele Menschen der älteren Generationen noch so. Dazu gehört meine Mama. Sie ist letztes Jahr 70 geworden und – wie ich schon schrieb – mit der Pflege ihres Mannes beschäftigt. Außerdem leidet sie an Arthrose in den Knien. Im rechten gerade besonders schlimm. Eigentlich hatte sie darum für letzte Woche einen Termin bei einem Orthopäden. Der wurde aber abgesagt. Bis Mitte April hat die Praxis dichtgemacht. Nun heißt es durchhalten mit den Schmerzen und mit der Bewegungseinschränkung. Eine Ausgangsbeschränkung hatten wir Kinder ihr ohnehin schon auferlegt. Wobei: Spazieren gehen könnte sie im Moment wegen des schmerzenden Knies sowieso nicht. Den Einkauf erledigen derzeit wir. Und zu ihrer Unterhaltung und dem besseren Kontakt mit Freunden und Verwandten haben wir ihr gerade ein neues Tablet besorgt. Sie harrt also aus und ist dabei genügsam und zufrieden.
Aber dass das Grab ihrer Schwiegereltern noch immer so aussieht, wie sie es zum Ewigkeitssonntag hergerichtet hatte – nein, schlimmer sieht es jetzt aus – das kann sie nicht ertragen. Das gehört sich nicht, jetzt, wo es Frühling wird. Was sollen denn auch die Anderen denken, die jetzt auf den Friedhof kommen, um die Gräber frühjahrshübsch herauszuputzen? Das fällt doch auf, wenn das Grab so lodderig lieblos aussieht. Nein, das geht nicht.
Das Leben geht weiter. Da kann ein noch so wildes Virus daherkommen und die Welt durchschütteln. Das bremst die ideellen Vorstellungen überhaupt nicht.
Das schmerzende Knie hingegen schon. Damit kann die Mama kaum laufen. Geschweige denn, am Grab knien, den alten Blumenschmuck abräumen und neuen einpflanzen. Also bittet sie die Kinder. Und natürlich erfüllen wir ihr den Wunsch, bestellen bei der Gärtnerei vor Ort Hornveilchenpflänzchen zur Abholung, fahren damit zum Friedhof, tauschen die Grabbepflanzung aus und dokumentieren alles per Kamera für das Seelenheil der Mama.
Stutzen muss ich aber doch. Alle Welt fürchtet sich vor Corona, vor zu vielen Infizierten und einem Kollaps des Gesundheitssystems, vielleicht auch vor der eigenen Ansteckung oder dem Problem, nicht ausreichend Toilettenpapier zur Verfügung zu haben. Unser Alltag ist über den Haufen geworfen, die Wirtschaft schlingert, das gesellschaftliche Leben liegt brach, häusliche Gewalt und psychische Erkrankungen nehmen drastisch zu. Es gibt gute Gründe, Angst zu haben und unser Unterbewusstsein legt noch ein paar weitere dazu.
Ein heilloses Durcheinander, vor dem man kapitulieren könnte. Aber vorher muss noch der Friedhof in Ordnung gebracht werden!
Das Leben geht weiter. Es muss weitergehen. Und wir alle suchen in dieser Zeit unseren Weg, mit der Krise fertig zu werden. Da tut es gut, uns an Ritualen auszurichten. Unser Leben in diesem Durcheinander an dem festzumachen, was unserem Alltag Ordnung gibt. Und dazu gehört der Frühjahrsputz – auch auf dem Friedhof.
Darum bin ich gern für meine Mama zum Grab gefahren und kann verstehen, dass sie nun beruhigter ist. Ein kleines bisschen Normalität in dieser verrückten Zeit, in der das Leben weitergeht und auch Alltägliches noch wichtig ist!
Corona-Tagebuch: Träumen
Ursula Cole – Vorgeschmack auf den Sommer (Corona-Tagebuch: Träumen)
Heute Morgen regnete es zuerst noch einmal – mehr Regen war für später angesagt, der Himmel war uns jedoch gnädig – der Regen blieb aus. Die aus den Wolken eindringenden Sonnenstrahlen machten indessen das eh schon feuchte Klima, welches wir in Armenoi (auf Kreta – Anm. d. Red.) dank des vielen Wassers und der grossen alten ehrwürdigen Bäume haben, noch feuchter – kein guter Tag für meine Atemwege. Und doch ist es wunderbar, wie die Sonne wärmt. Wie durch Zauber wachsen die Blüten an Bäumen und Sträuchern ihrem Höhepunkt entgegen, die Düfte noch betörender ausströmend – Blumen und Gräser benehmen sich ungebärdig als würden sie gegeneinander konkurrieren. Seit heute können wir durch knie- und hüfthohes Gras ‘waten’.
Ich japse nach Luft, bleibe aber trotzdem draussen – es ist zu schön! Am Abend geht es jeweils besser. Ich werde meinen Rhythmus zum Sommer hin entschieden ändern müssen. Ich muss hier im Sommer zur Frühaufsteherin avancieren. Die Morgenspaziergänge mit meiner Hündin sind nach 9 Uhr morgens nicht machbar für mich. Es ist so feuchtheiss wie in den Tropen. Wir haben sehr oft 80-98% Luftfeuchtigkeit. Ich halte es an solchen Tagen tagsüber nur im Hause, am Schatten, oder am Meer, am besten im Wasser, aus. Werden wir uns bis dahin überhaupt an den Stränden aufhalten dürfen? Für mich wird im Sommer die Siesta zum Obligatorium. Bald lebe ich zwei Jahre hier und ich bin versucht zu glauben, dass mein Körper sich bis zu einem gewissen Grad anpassen wird. Ab 19 Uhr abends fühle ich mich wie neu geboren. Ich möchte trotzdem in diesem Dorf leben – ich fühle mich hier zuhause und akzeptiert und liebe Armenoi mit seinen knorrigen Bauern. Für meine Gesundheit wäre ein trockeneres Klima besser… – …aber es müssen ja nicht alle Menschen 90 Jahre alt werden. Weniger tut’s auch…
Heute winkt das Corona Virus aus weiter Ferne. Nur am Morgen habe ich im Internet des Schweizer Radios SFR der neuesten Entwicklung gelauscht. Ich weiss nicht, ob ich diesbezüglich bereits etwas ‘matt’ geworden bin (oder ist es Benommenheit?) oder habe ich mich ganz einfach schon daran gewöhnt? (was dann ‘abgestumpft’ bedeuten würde?)
Vielleicht ist es die Tatsache, dass wir hier im Dorf noch immer so wenig mitbekommen. Ich bin hier noch nie der Polizei begegnet und treffe die gleichen Menschen beim Spazieren wie vor der ‘Corona-Zeit’. Der einzige Unterschied ist der Hausarrest – aber an Tagen wie diesen, wird mir nicht einmal dieser Aspekt bewusst, weil ich an manchen Tagen im Dorf bleibe ohne irgendwohin zu fahren – auch ohne Hausarrest. Ich plane jetzt aber einen ‘unerlaubten Ausflug’ nach Chania – Einkauf und Spaziergang mit H. (ich vermisse diese Spaziergänge und Gespräche mit ihr sehr). Eine baldige Abwechslung ist unumgänglich. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Polizei verhalten wird, falls ich kontrolliert werden sollte.
Corona-Tagebuch: Träumen
1. April 2020
Saskia Vgroc – Ich möchte Mutter sein
Wieder Bura (die Autorin lebt in Kroatien, Anm. d. Red.). Der Sturm rüttelt in der Nacht an den Fensterläden und meinen Träumen, lässt mich lange nicht einschlafen, auch mein Mann liegt seit dem Morgengrauen wach, es wird ein anstrengender Tag werden. Aber auch die Bura ist ein Frühlingsboote. Märzstürme gehören dazu. Ich merke, dass ich mich an die Gesichtsmasken gewöhne, deren Anblick mich vor Kurzem noch erschreckt hat. Am Morgen kann ich nur schwer aufstehen, ich gehe raus in den Wind, fahre Fahrrad, komme auf dem Hinweg kaum voran und fliege auf dem Rückweg. Hoffentlich schickt mir heute keiner einen Aprilscherz. Die Ängste der Nacht hängen wie Nebel über meinem Tag. Der Onkel meines Mannes ist schwer an Lungenkrebs erkrankt, nun ist er allein in Mainz, und bekommt keinen Krankenhaustermin. Ich habe das Gefühl, ich muss Osterkörbchen basteln, ich habe keine Lust. Hoffentlich schickt mir heute keiner kreative Basteltipps für eine kreative Zeit mit meinen Kindern. Auch sie haben schlecht geschlafen und schreien abwechselnd, außerdem sind wir im Verzug mit den Hausaufgaben. “Unser Sohn ist in der ersten Klasse, seid ihr wahnsinnig”, möchte ich rufen. Ich möchte Mutter sein, nicht Lehrerin. Heute auch nicht Mutter. Ich möchte mich mit all den ungelesenen Büchern ins Bett legen, warten, dass der Sturm vergeht. Tee trinken. Ängste sortieren. Den Möwen zuschauen. Sie lassen sich von der Bura tragen, sie beobachten die Fischer, die die Netze ordnen, denn der Wind wird vergehen. Es ist strahlend und sonnig, aller Nebel nur in mir.
Corona-Tagebuch: Träumen
Corona-Tagebuch: Träumen
Corona-Tagebuch: Träumen