In crastinum (lat.) bedeutet: der morgige Tag. Procrastinare(oder auf Deutsch: prokrastinieren) meint also so viel wie: auf Morgen verschieben. Alle, die kreativ arbeiten, wissen, wie das Verschieben auf den nächsten Morgen und den übernächsten usw. funktioniert. Und wir alle kennen das schlechte Gewissen, das damit einher geht.
Augen von Luise Rind, die in Köln lebt. Der Text ist im Online-Kurs Literarisches Schreiben entstanden und ein Auszug aus einer längeren Geschichte
Augen
Wir saßen um den runden Gartentisch herum, niemand saß jemandem gegenüber. Zu dritt an einem runden Tisch gab es kein Gegenüber. Jeder starrte ins Leere. Meine Mutter drehte den Kopf zur Seite und blickte auf das benachbarte Backsteinhaus. Ich spürte, dass sie das Schweigen brechen, irgendetwas sagen wollte, dass sie mit den Augen absuchte, welcher Eindruck aus der Umgebung zu Worten geformt werden konnte, welches Geräusch, welche Erkenntnis einen Kommentar verdiente. Nichts war es wert. Nichts war die Anstrengung wert, zu sprechen und nichts von alledem, was gesagt werden konnte, ergab Sinn.
Während andere Menschen aus anderen Ländern das Meer in sich („Mar adentro“) haben, schleppen wir Deutschen das Dorf in uns herum. Wir ziehen ins Kleine, andere ins Große. Wir Deutschen lieben die Sicherheit mehr als alles andere. Im Kleinen scheint sie uns gegeben oder zumindest ein erreichbares Ziel. Das war auch schon zu Biedermeier-Zeiten so.
Sicher gibt es gute Gründe für diesen Rückzug in anheimelnde Gefilde. Die Mieten in der Stadt steigen, das Klima spielt verrückt, Flüchtlinge und Kriege kommen (uns) immer näher – und das bald auch noch ohne Angela Merkel! Umwälzungen aller Gesellschaften sind dringend geboten, doch niemand weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Wir sind verunsichert. Also gehen wir (mental) erst einmal dorthin, wo wir herkommen – und ziehen aufs (meist norddeutsche) Dorf. Zumindest im Roman.
Der Krimi ist ein Gefäß, wir werfen alles rein, was uns gefällt. Und auch das, was uns nicht gefällt. Die Bücher (und Filme) wimmeln nur so von Ängsten und Hoffnungen, Intrigen, Entführungen, Verschwörungen, Mord, Totschlag, Hass. Auf der anderen Seite schimmern die Liebe, das Kulinarische, die Regionen mit ihren Landschaften und Mentalitäten und vor allem: die Gerechtigkeit.
Übrigens: In unserem Kurs Krimi schreiben können Sie sich als Krimi-Autor*in erproben.
Das Genre nimmt und: stirbt nicht
Das Genre nimmt und: stirbt nicht. Totgesagt war es schon von Anfang an, als es „nur“ als Buch daherkam. Nicht ernst zu nehmen von der Kritik. Bis auf ein paar Ausnahmen natürlich: Dashiell Hammett, Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle (das ist der mit Sherlock Holmes), Agatha Christie, Patricia Highsmith …
Warum nur?, fragen sich verzweifelt die echten LiteratInnen, die echten LiteraturwissenschaftlerInnen, warum nur ist dieses Genre so ungemein beliebt?
Literatur schreiben oder Fiction Writing – die Kunst des Schreibens
Fiction Writing bedeutet, Literatur zu schreiben. Vielleicht eine Kurzgeschichte oder einen Roman. Sie ERFINDEN eine Geschichte, die nicht wahr ist, aber wahr sein könnte. Literarisches Schreiben ist also kein Journalismus, sondern Ausbeutung des Lebens, der Wirklichkeit. In diese hinein erfinden wir Geschichten, die in ihr passiert sein oder noch passieren könnten. Oder in einer vollständig erfundenen Wirklichkeit, wenn Sie Science-Fiction schreiben.
Schreiben ist dynamisch und abwechslungsreich. Es kann uns in den Flow bringen und uns die Welt um uns herum vergessen lassen. Wir erweitern unseren Horizont, schärfen unsere Sinne und machen uns bereit, die Möglichkeiten einer Geschichte zu erkennen und zu verfolgen. Wir begeben uns also in eine Situation der Offenheit. Dabei können einige wenige Worte genügen, und schon knistert und prickelt es in der Luft. Es wird leidenschaftlich und poetisch oder spannend und geheimnisvoll.
Keine wahren oder unwahren Geschichten
Es gibt keine wahren oder unwahren Geschichten. Wichtig ist, was wir für möglich halten. Selbst die wunderlichsten Geschichten, wie z.B. die Lügengeschichten des Barons von Münchhausen, erscheinen während der Lektüre glaubwürdig. Weil sie in der Welt, die geschildert wird, einen glaubwürdigen Rahmen haben.
Durch das Schreibenschaffen wir eine eigene Welt. Vielleicht eine schönere, vielleicht eine, in der die Helden noch richtige Kämpfer sind und die größten Gefahren meistern. Vielleicht eine, die fantastisch ist wie das Wonderland von Alice, in der die Gesetze der wirklichen Welt nicht gelten. Oder in der man von Planet zu Planet spaziert wie Der Kleine Prinz von Antoine de St. Exupéry.
Die Legokiste von Oliver Wolf erinnert an die überbordende Fantasie des Kindes. Und an den Flow, der die Umwelt vergessen lässt. Oliver Wolf lebt mit seiner Familie in Sevilla. Der Text ist im Online-Kurs Kreatives Schreiben entstanden.
Die Legokiste
Wir haben in unserer Wohnung im Flur eine Schrankwand, selbst montiert von meinem Vater. Darin steht unten links, etwas versteckt, eine Holzkiste, die Legokiste – helles Holz, mit kitschiger Brandmalerei – voller Legosteine. Also, es sind keine echten Legosteine, sondern eine Variante aus Weichplastik, von einer wässrigen, weissen Farbe. Die Dinger fühlen sich seltsam an, und auch zwischen den Zähnen haben sie einen merkwürdigen Widerstand. Ein paar echte Hartplastiklegosteine finden sind dazwischen, sogar eine komplette Legoeisenbahn mit Legoschienen. Aber die weiche und die harte Sorte passen nicht richtig zusammen.
Diese Kiste ist meine Schatztruhe
Diese Kiste ist meine Schatztruhe. Es gibt hier keinen Bauplan, wie bei modernen Lego-Bausätzen. Es ist einfach ein wildes Durcheinander von Steinen verschiedenster Grösse und Form: pure Anarchie. Aus den Steinen lasse ich die unwahrscheinlichsten Gebilde entstehen. Raumschiffe, Häuser, Unterseeboote, alles! Und niemand redet mir rein! Meistens baue ich einfach krudes Zeug zusammen, meine Fantasie ist da ziemlich flexibel – am Anfang plane ich vielleicht, ein Pferd zu bauen, und am Schluss wird irgendwie ein Hubschrauber daraus.
Plagiat: Die deutsche Suche nach dem falschen Wort
Für alle höheren Wesen, die wir verehren
Schon wieder ist eine Ministerin zurückgetreten, weil sie angeblich nicht korrekt wissenschaftlich gearbeitet habe. Also ein Plagiat geschrieben und als eigene Arbeit abgegeben hat. Sie darf sich Frau Doktor nennen. Durfte. Jemand aber hat sich akribisch über ihre Doktorarbeit hergemacht und offenbar inzwischen Erfolg mit seinem Plagiatsvorwurf. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Nehme ich in einer wissenschaftlichen Arbeit eine Theorie, eine Erkenntnis oder auch ganze Absätze von anderen und erkläre das nicht, dann ist das natürlich nicht korrekt.
Antje Roß wohnt in Berlin und liebt den Wortwitz. Für eine gelungene Pointe gibt sie sogar den Nachtisch her.
Trotz der frühen Stunde
An jenem Morgen, einem Dienstag im Juli, zirpten die Grillen besonders laut. Welch ein Glück, dass Gisbert aufgrund des warmen, trockenen Wetters bei offenem Fenster geschlafen hatte.
Geweckt durch den schrillen Insektengesang, setzte er sich ruckartig im Bett auf und schaute auf die Uhr. 05:17 leuchtete es neongrün von der Digitalanzeige seines Radioweckers. Für gewöhnlich wurde er erst Punkt halb sieben durch den Alarm wach. Trotz der frühen Stunde und obwohl er bis nach Mitternacht beim Online-Spiel versackt war, fühlten sich weder Augen noch Körper noch Geist müde an. Das Zirpen schien lauter, intensiver zu werden. Gisbert war, als wollten ihm die Tiere eine Botschaft übermitteln. Er konnte deren Inhalt nicht klar deuten, aber es schwang eine Ankündigung darin, dass dieser Dienstag im Juli kein gewöhnlicher werden würde. Gisbert fühlte ein verheißungsvolles Kitzeln im Bauch und wunderte sich sehr darüber, denn eigentlich war er kein Fan von Experimenten und Überraschungen. Dieses Mal musste er das Abenteuer suchen, das da draußen auf ihn wartete.