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Was ist ein erfülltes Leben?

Was ist ein erfülltes Leben?

Essay von Muriel Fendorff

Muriel Fendorff lebt im Land zwischen den Meeren. Bislang hat sie sich der Fiktion gewidmet, entdeckt aber gerade, wie gut sich die Gedanken beim Schreiben von Essays entwickeln. Der Text ist im Online-Kurs Essay schreiben “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen” entstanden.

Gleich zu Beginn muss ich einen Offenbarungseid leisten.
Eine kurze Abhandlung zu der Frage: “Was ist ein erfülltes Leben?” dachte ich, kann doch nicht so schwer sein. Ein bisschen so, ein bisschen anders, und am Ende jeder, wie er meint. Bei philosophischen Fragen wie dieser gibt es doch kein Richtig und kein Falsch.
Aber so einfach ist es nicht, muss ich feststellen. Jede Frage scheint sich in mindestens zwei aufzuspalten, und jede Antwort wirft neue Fragen auf. Die Gedanken umschlingen und verknäulen sich. Ich komme ins Schwimmen. Gehe unter, die Wogen schlagen über mir zusammen, ich versuche, mich an die Oberfläche zurückzukämpfen.
Dort beginnt alles wieder von vorn.
Ich muss wohl einräumen, dass ich es nicht schaffe, auf die Frage nach einem erfüllten Leben eine Antwort zu geben.
“Nimm dir nichts vor, dann schlägt dir nichts fehl”, lautete der Spruch einer längst verstorbenen Großtante.
“Wer zu den Gründen geht, geht zugrunde“, pflegte meine Großmutter zu sagen. Ein Satz, den ich übrigens nicht unterschreibe.
Aber vielleicht sollte ich mit ihr anfangen, meiner Großmutter, denn es war ihr Ableben, das mich zum ersten Mal mit dem Thema konfrontierte. Wenn ich es schon nicht bewältige, will ich wenigstens das mit dem Leser teilen, was ich habe.

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Stimmen, Stimmen, Stimmen – Eine Kurzgeschichte von Silvio de Zanet

Stimmen, Stimmen, Stimmen – eine Kurzgeschichte von Silvio de Zanet

Für gewöhnlich gestaltet Silvio De Zanet in Zürich Gebrauchsgrafik. Wie ihm die Schreiblust zustossen konnte, hat sich ihm noch nicht ganz erschlossen. Es muss mit dem Online-Kurs Literarisches Schreiben zu tun haben, an den er sich anfangs Jahr bedenkenlos und ein bisschen fahrlässig anmeldete, und der aus ihm Geschichten zutage förderte, über die er jetzt noch rätselt. Er war ja bloss auf der Suche nach einem harmlosen Zeitvertreib gewesen.
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Stimmen, Stimmen, Stimmen 

ist eine Kurzgeschichte, die eben das: Stimmen – im Kopf oder tatsächliche? – inszeniert. Silvio de Zanet versteht es, mit dem Leser/der Leserin zu spielen, auch (vielleicht nicht nur augenzwinkernd) mit dessen/deren Ambitionen auf die Berühmtheit durch das Schreiben. Es ist eine Achterbahnfahrt der Vorstellungskraft, auf die uns der Zürcher Autor hier einlädt, aber er passt schon auch auf, dass uns nur leise schwindlig wird. Das Spiel mit Perspektiven, mit der Wahrheit und der Wirklichkeit, das Zerren und Verzerrte des Erlebens: all das serviert er uns hier vergnüglich – mit einem Hauch von Krimi, einem Hauch von roman noir – und mit ganz viel feiner Ironie. Überzeugen Sie sich selbst. Und seien Sie nicht überrascht: im Schweizerdeutsch gibt es keine “ß”. Viel Vergnügen bei der Lektüre (HL).

Leseprobe (die komplette Kurzgeschichte finden Sie hier)

Während mich der Lift in gefühlter Lichtgeschwindigkeit in den achten Stock hinaufschoss, war die Welt wie ich sie kannte, noch in Ordnung. Das Verlagshaus Dark & Stormy belegte die zwei obersten Stockwerke eines repräsentativen Gebäudes, hoch über einem lärmigen, stark frequentierten Platz. Theron Chronstein, der Verlagsleiter und zugleich Besitzer, hatte den Platz einmal mit einer Schweizer Uhr verglichen, auf dem alles, was sich darüber bewegte, sei es ein Lastwagen oder eine Frau mit Kinderwagen, nur ein Rädchen in einem Getriebe sei, das zu einem grösseren Ganzen gehörte, zu einem uralten, ausgeklügelten Plan. Dass er das so sah, wunderte mich nicht. Seinem durchdringenden Blick entging nichts, kein Buchstabe konnte im Verlag geändert, keine Seite umgeblättert werden, ohne dass er davon Kenntnis gehabt hätte.

Für mich war der Platz einfach ein chaotisches, ja gefährliches Gewusel an Verkehrsteilnehmern, bei dem der einzige Plan, den es allenfalls geben konnte, darin bestand, ihn heil zu überqueren. Wie immer empfing mich Frau Stockhausen, hinter ihrem riesigen, stets aufgeräumten Arbeitstisch und wie immer schäkerte ich mit ihr, was das Zeug hielt. Vom herrlichen Apriltag inspiriert, verglich ich sie heute mit einer zarten Frühlingsblüte. Die zierliche Frau, die wie Theron Chronstein weit über achtzig sein musste, kicherte und entgegnete, dass der Weg in die Hölle mit Heuchelei gepflastert sei.

»Wie ist die Laune von Exzellenz?«, fragte ich lächelnd.

»Ach, Herr Kaiser«, antwortete sie und machte dabei ein betroffenes Gesicht.

Ich warf ihr einen besorgten Blick zu.

»Theron ist heute zuhause geblieben, es ging ihm nicht besonders«, seufzte sie. »Diese Wetterkapriolen machen ihm zu schaffen. Gestern nass und kalt, heute Hitze und für morgen hat Meteo Schweiz den Orkan Olaf angekündigt.«

»Ein Orkan? Hier in Zürich?« Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Werden Sie mal so alt wie wir, dann wird Ihnen das Lachen schon vergehen«, tadelte sie mich scherzhaft.

»Dass Theron alt ist, wissen wir beide«, flüsterte ich verschwörerisch. »Aber Sie … Frau Stockhausen.« Ich mimte Empörung.

»Die Hölle rückt näher, Herr Kaiser«, quietschte sie kokett. Sie holte ein Dossier aus einer Schublade und schob es mir über den Tisch. »Aber Sie sind nicht vergebens gekommen, Theron hatte die Zahlen bereits zusammengestellt. Sie können sich die Unterlagen gerne in Ruhe ansehen, ich lasse Ihnen einen Kaffee bringen. Oder möchten Sie lieber Wasser?«

Ich setzte mich auf das halbrunde Empfangssofa gegenüber ihres Arbeitstisches. Mein letztes Buch, Harte Lügen, hatte der Verlag pünktlich zum Weihnachtsverkauf herausgebracht und nun war ich gespannt, wie die Verkäufe im ersten Quartal gelaufen waren. Ich ging das Dokument durch, und dann noch einmal. Ich war irritiert. Das können unmöglich die richtigen Unterlagen sein, dachte ich, nachdem ich die Verkaufszahlen durchgegangen war, die der Verlag wie üblich nach Ländern gegliedert hatte: bei den meisten Ländern stand in der Spalte Umsatz eine Null. Da war ich anderes gewohnt. Abgesehen vom Buch, das ich vor Harte Lügen verfasst hatte und das sich schlecht verkaufte, konnte ich auf satte Verkaufszahlen zurückblicken.

Ich blickte auf. Frau Stockhausens schwarze Äuglein waren hinter ihrer goldumrandeten Brille auf mich geheftet. »Sie haben sich sicher gefragt, wieso bei den meisten Ländern kein Umsatz verzeichnet ist«, sagte sie. »Das sind all die Länder, die Ihr neues Buch nicht verlegen werden«, erklärte sie mir.

»Was heisst, nicht verlegen werden?«, wollte ich wissen.

»Nehmen wir als Beispiel den japanischen Verlag, der für Harte Lügen keine Lizenz beantragte. Der Grund dafür lag vielleicht an Ihrem vorherigen Buch, das sich, wie Sie ja wissen, schlecht verkauft hat. Kann sein, dass sie nun der Auffassung sind, dass Ihr Name in Japan nicht mehr zieht. Herrn Kobayashi aus Tokio, Sie mögen sich vielleicht von Ihrer letzten Lesereise an ihn erinnern, schien es äusserst peinlich zu sein, uns eine Absage zu erteilen, er lud uns sogar in eines der teuersten Lokale ein, aber letztendlich …«

»Ja gut, Japan«, entgegnete ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Dabei besass ich in Japan doch die glühendsten Fans. »Und wieso haben Sie in diesen Ländern nicht mit anderen Verlagen verhandelt? Es gibt welche, die sich um mich reissen würden«, brach es aus mir heraus.

»Lesen Sie auch mal Kritiken, Herr Kaiser?« Ein leicht spöttisches Lächeln war auf Ihrem Gesicht erschienen, ein Ausdruck, den ich bei ihr bislang nicht kannte. Bis dahin hatte sie sich mir gegenüber, der ich als Goldesel des Verlags galt, stets äusserst zuvorkommend gezeigt.

Ich wischte ihre Frage mit einer Handbewegung beiseite. Dass Literaturkritiker meine Kriminalromane als Schund abtaten, war ja nun wirklich kein Geheimnis. Viel Feind viel Ehr, redete ich mir stets ein. Allerdings hatte ich kürzlich eine Buchhandlung besucht und eine Buchhändlerin beobachtet, die gerade dabei war, einen Stoss Harte Lügen von einem Büchertisch auf ein Transportwägelchen umzustapeln und sich dabei bei einer Kollegin mit lauter Stimme erkundigte, ob der Kram ins Altpapier sollte oder an den Verlag zurückgehe.

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Sommer, Sonne: schreiben (und lesen)

Sommer: Anregungen und Literaturbeispiele

Der Sommer ist da, und mit ihm kamen sonnige Tage und warme Nächte. Vielmehr bisher viel Regen, aber man verspricht mehr Sonne. Egal wie, diese Jahreszeit bietet uns eine Fülle an Inspirationen für das Schreiben. Ob Sie nun am Meer, am See, in den Bergen oder im gekühlten Innenraum schreiben, machen Sie doch mal den Sommer zum Thema. Lassen Sie sich von der warmen Jahreszeit und der Natur um Sie herum beflügeln und entdecken Sie neue kreative Horizonte.

Schreiben am Meer

Es gibt kaum etwas Inspirierenderes als das Schreiben am Meer. Das Rauschen der Wellen, der salzige Duft in der Luft und die endlose Weite des Horizonts bringen Ihre Kreativität in Schwung bringen. Setzen Sie sich in den Schatten eines Sonnenschirms. Spüren Sie den Sand unter Ihren Füßen. Lassen Sie die Umgebung auf sich wirken. Beschreiben Sie das Gefühl! Und erinnern Sie sich daran, wie Sie als Kind zum ersten Mal am Meer waren. Schreiben Sie das auf.

Vielleicht inspiriert Sie auch das Meer zu einer Geschichte? Über Liebe, über Versprechen und Verbrechen. Oder über Muscheln und die Algen am Strand, möglicherweise auch zu einer Dystopie (das Meer als verwunschenes Paradies).  Im Oktober können Sie übrigens auf Kreta den Sommer verlängern. In unserem Schreiburlaub auf Kreta erhalten Sie professionelle Begleitung und Anregungen.

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ADS – Ausnahme.Danke.Situation – von Nadine Obermüller

ADS – AUSNAHME-DANKE-SITUATION

VON NADINE OBERMÜLLER

Nadine Obermüller lebt in Berlin und schreibt dort humoristische Prosa und den ein oder anderen Witz auf den Twitter-Alternativen Bluesky und Threads. Kernthemen in ihren Texten sind Neurodiversität, Introvertiertheit, Social Media und Hasen.

Der Text ist im Online-Kurs Literarisches Schreiben entstanden

FEBRUAR 2020     KARTON

Der Karton, in dem sie sich versteckte, stand auf einer Europalette im hintersten Regal des Rewe-Lagers. Ein zweifacher Vibrationston ertönte. Hey, machst du heute etwa keine Mittagspause, mein altes Hausi? – statt Mausi nannten sich alle im Betrieb mittlerweile Hausi die WhatsApp-Nachricht der Kollegin aus der Frischwarenabteilung ließ Toni hochschrecken. Instinktiv drückte sie ihre Hände flach auf die Plastikfolie, mit der sie ihre angewinkelten Beine in der kühlen Schachtel bedeckte. Es durfte nicht zu viel rascheln, sonst war ihr Versteck verraten. Da die eineinhalb Meter hohe Box beinahe so hoch wie das Regalfach selbst war, hatte sie sich mit einem Cutter Zugang von der Seite verschafft und eine kleine Tür in den Karton geschnitten. Diese Klappe musste sorgfältig geschlossen werden, da sie sonst Tonis wie vakuumverpackt aussehende Jeans und die schwarzen Converse-Schuhe freilegte – und ebenfalls ihr Versteck verraten würde.

Toni tippte: Bitte lach nicht, Hausi, aber ich habe mich in einem Karton vor Ronny versteckt – 😂 wo genau? – Reihe 10. Ich bin ihm heute schon drei Mal begegnet, und beim Döner und Bäcker nebenan ist er auch ständig, ich kann nicht mehr 🙁  Bitte sag’s niemand …

Die Kollegin schwor auf ihr Grab, sie würde nichts verraten. Wobei: Wie viel war das wert? Konnte man überhaupt auf das eigene Grab schwören? Schwor man nicht immer auf das Grab von bereits Verstorbenen? Von Toten, die man liebte und deren Namen man daher auf keinen Fall posthum entehren wollte? Auf dem mittlerweile stumm geschalteten Smartphone leuchtete eine neue Nachricht auf und riss Toni aus den Gedanken: Denk dran, nur noch drei Tage, dann hast du’s geschafft. Halt durch 💔

Toni lehnte sich zurück, der Karton bot nicht viel Halt, aber ein wenig. Sie hob ihr T-Shirt an und legte ihre kühle Hand etwas oberhalb des linken Eierstocks ab. Sie atmete tief ein und aus und murmelte vor sich hin: „Das erste Mal vor dem Backofen bei den Backwaren um acht Uhr, das zweite Mal bei den SB-Kassen um neun Uhr dreißig und das dritte Mal um elf Uhr direkt vor den grausam gesunden Fruchtsäften.“ Bei der letzten Begegnung war Ronny sogar vor Scham über das „Frisch gewischt“-Schild direkt vor dem Sauerkrautsaft gestolpert. Sie mussten beide kurz lachen, aber dann fiel ihnen wieder ein, dass sie nicht mehr zusammen waren und dass sie daher vermutlich auch nicht mehr zusammen lachen sollten. Wenn Ronny bald in der neuen Filiale arbeitete, hatte sich die Lach-Frage ohnehin erledigt.

Plötzlich hörte Toni einen Hubwagen anrattern. Keinen Gabelstapler, für den man eine Schulung brauchte, sondern ein klapperndes, manuell zu bedienendes Modell, das von Hand durch die Regalreihen geschoben und gezogen werden musste. Toni erstarrte wie ein Kaninchen kurz vor der Entdeckung durch einen Fuchs. Ein beißendes, betont männliches Aftershave lag in der Luft, das zumindest nicht von Ronny stammen konnte. Ronny roch nach feinen Lavendelnoten, im Gegensatz zu diesem duftgewordenen Chemieunfall. Was tun? Rausspringen und gestehen? Oder stillhalten und hoffen? Der Hubwagen hörte auf zu klappern. Die Person fädelte ihn in die Europalette ein. Durch die Hubbewegungen hob sich Tonis Karton langsam nach oben, und die Palette wurde mit Gefühl aus dem Regal manövriert. Ein hoher Schrei folgte. „Oh Gott, da ist ne’ Leiche drin!“ Der sechzehnjährige Praktikant rannte schneller davon, als Toni reagieren konnte. Sie zögerte, sprang schließlich aus dem Karton und lief zügig zur Hintertür des Lagers. Für einen Moment hielt sie noch mal inne, als sie die Türklinke in der Hand hatte, verließ dann aber mit hochrotem Kopf das Firmengebäude in Richtung Bäcker.

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Die Magie des Karnevals in der Literatur

Die Magie des Karnevals in der Literatur

Eine Reise durch die Vielfalt der Verkleidungen

Der Karneval, ein Fest der Farben, Kostüme und ausgelassenen Feierlichkeiten, hat seit Jahrhunderten die Fantasie von Menschen auf der ganzen Welt beflügelt. Doch weit über die Straßenparaden und Maskenbälle hinaus hat der Karneval auch einen festen Platz in der Literatur gefunden. Von seinen festlichen Traditionen bis hin zu den tieferen kulturellen und symbolischen Bedeutungen hat der Karneval zahlreiche Autor:innen inspiriert, seine Atmosphäre, seinen Glanz und seine Geheimnisse in ihren Werken einzufangen.

Die Vielfalt der Feierlichtkeiten

In der Literatur wird der Karneval oft als eine Zeit der Freiheit und des Ausdrucks dargestellt, in der gesellschaftliche Normen außer Kraft gesetzt werden und die Menschen ihre wahren Gefühle und Identitäten hinter den Masken ausleben können. Von den farbenfrohen Paraden in Rio de Janeiro bis zu den traditionellen Umzügen in Venedig bietet der Karneval eine Fülle von Eindrücken und Erlebnissen, die Schriftsteller dazu inspirieren, die Vielfalt der Feierlichkeiten und das Spektakel in ihren Geschichten einzufangen.

Die Masken des Selbst

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Texte von Teilnehmer:innen

Texte aus Schreibkursen, hier: Wochenende Kreatives Schreiben

Wir danken den Autor:innen für die Genehmigung zum Abdruck der Werkstatt-Texte.

Alle Teilnehmer:innen haben zu den gleichen Inputs geschrieben, Sie können als sehen, wie unterschiedlich die Ergebnisse ausfallen. Literatur drückt die Persönlichkeit aus – und macht deshalb einen solchen Kurs zu einem Erlebnis für alle Beteiligten.

Sie lesen Texte von Silke Engel-Boëton, Ferenc Liebig, Joachim Osterkamp und Eva Schmidtke. Bitte scrollen Sie.

Silke Engel-Boëton

lebt in Lausanne und in Berlin

kommt aus Hamburg, war/ist als Sprachlehererin tätig und schreibt: Auf Zetteln und als Tagebuchnotizen verbindet sie kurz wahrgenommene Augenblicke mit tieferen Einsichten. Oder sie schreibt ins Absurde gehende Kurzgeschichten oder Gedichte.

Weiche Nadeln mit Kiel, ein Schreibwerkzeug; ich möchte eine Schreibfeder machen. Womit schrieben die Mönche? Da war doch Avranches, das Scriptorium des Mont-Saint-Michel, schon wieder das Scriptorium in Avranches – ein Schritt zurück in die Kindheit von Thomas, als Erstgeborener zu früh ohne Mutter geblieben, hochsensibel und unverstanden. Mit 16 gewann er im Schreibwettbewerb seiner Stadt eine Reise nach Rom. Ein Befreiungsschlag.

Ich klopfe an seine Tür, verhalten, denn er sitzt gebeugt und schreibt. Ein alter Mann.

Texte von Silke Engel-Boeton

Ferenc Liebig

lebt in Potsdam

Ferenc Liebig schreibt Gedichte und Kurzgeschichten. Einiges davon findet sich in Anthologien und Literaturzeitschriften.

Ich habe Zahlen gefunden.

Ich habe die Zahlen nicht sortiert.
Das hat die Frau mit den grauen Haaren übernommen,
die ihre Weste bis obenhin geschlossen hielt.
Es ist kalt draußen, auch wenn die Sonne scheint.
Es waren zwölf gelbe Blätter, drei rote und fünf
noch an den Rändern grüne. 12, 3, 5.
Zusammengeharkt wurden sie von der Frau
der Schubkarre übergeben.
Eins davon landete in meiner Hand.
Frag mich nicht wie.
Ich konnte es zwischen meinen Fingern drehen,
die Oberfläche befühlen.
Es war feucht, sandig und obwohl es schon
länger am Boden gelegen hatte, fest, glatt,
noch nicht im Zustand der Verwesung.

Ich habe Zahlen gefunden. 12, 3, 5.
Nichts beschreibt besser meine Suche
nach Stabilität.

Hier geht’s zu seinen Texten

Joachim Osterkamp

lebt in Kiel

Ehemals Kaufmann für Versicherungen. Im Hobby spielt er gerne Theater auf einer Laienbühne, hat auch schon einige Theaterstücke erfolgreich einstudiert. Gerne geben seine Ehefrau und er Musikkonzerte, verbunden mit Lesungen unterschiedlicher Autoren, auch selbstverfasste Geschichten, von nachdenklich bis heiter.

In einem Krankenhaus bin ich vor einigen Jahrzehnten geboren worden und ich muss feststellen, dass ich mich dabei sehr unwohl fühlte. Drei Personen erfüllten den Raum mit ihrer Anwesenheit. Der Arzt, den ich sehr unhöflich fand, hat mich nicht einmal begrüßt, sondern an den Füßen gepackt und mir eine auf den Hintern geklastert. Dafür sollte ich ihn heute noch verklagen. Natürlich meine Mama, die schweißgebadet im Bett lag und auch nicht viel sagte, und zu guter Letzt noch die Hebamme, die war sehr lieb. Die hat mich sofort in warme Deckchen gewickelt und geherzt.
Mein Papa kam später dazu; auch er sagte mir nicht gut zu. Sah sich nur meinen Kopf an und fragte: „Der Quadratschädel… Bleibt das so? Bei Joachim war das ganz anders.“ Als der geboren wurde, durfte der sofort zelten.

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Eva Schmidtke

lebt in Münster

Studiendirektorin für die Bereiche Sprache, Literatur und kreatives Schreiben. Sie leitet Schreibwerkstätten, Literaturkurse und führt Buchprojekte und Lesungen durch.

Der Pilz

Was bist Du zart, kleiner Pilz! Beinahe durchscheinend, wenn die Spitze deiner Kappe sich nicht in einem ganz hellen Braun zeigte. Dein Stiel ist so dünn, dass ich besorgt bin, du könntest deinen Schirm nicht tragen. Deinen Namen kenne ich nicht. Ob du essbar bist, ist nicht wichtig. Du bist viel zu zart und verletzlich um gegessen zu werden. Wo kommst du her, und wie konntest du Wind und Wetter trotzen?

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Schnee – Kurzgeschichte von Peter Müller

Schnee

Eine Kurzgeschichte von Peter Müller

Peter Müller ist in Ost-Berlin geboren, hat Spaß am Schreiben und Sport, hatte lange Zeit angenommen, unkaputtbar zu sein, bis ein Sportunfall die Lüge aufdeckte, und als allein Erziehender überrascht, von der Härte der Nuss und dass man immer nur einen Versuch hat.
Der Autor hat bei schreibwerk berlin Online-Kurse besucht und diese Geschichte im Schreiburlaub in Chania beendet.
(Fotos: Peter Müller)

Schnee ist eine Kurzgeschichte, die das Vater-Sohn-Verhältnis in einen schneereichen Konflikt kleidet. Sie spielt im kanadischen Winter

Eins

Draußen waren Minus 25 Grad Celsius. Harald ließ den Motor laufen, während Mike zum Diner rannte, um Kaffee zu besorgen. Hier ließen alle Leute ihre Autos laufen, selbst beim Tanken. Er war neugierig, was Mike dazu sagen würde.
Mike sagte nichts dazu, als er zurückkehrte. Hielt Harald den Becher hin, kuschelte die Schultern in das Polster der Rückenlehne und schlug die Tür zu.

„Kalt, was? Dein Parka ist ziemlich dünn.“

Mike schob die Mütze tiefer in die Stirn. Die langen, rotblonden Haare fielen ihm auf die Schultern.

„Kanadischer Winter.“

„Und wir mittendrin.“

Mike pustete in seinen Becher. Harald fuhr vom Parkplatz und aus Calgary hinaus. Die Straße war geräumt, gespritzt und glänzte. Am Straßenrand türmte sich ein bröckliges Gemisch aus Schnee und Eis zu einem Wall auf.

„Heute schlafen wir in Banff und morgen sind wir in Revelstoke. Wir haben ein Hotel direkt am Lift.“

Harald blickte hinüber. Mike sah aus dem Seitenfenster, Bart und Haare verdeckten sein Gesicht. Gib ihm Zeit, dachte Harald, wir müssen gemeinsam Zeit verbringen.
Er lächelte die Frontscheibe an, für den Fall, dass Mike zu ihm rüber schaute.

„Ich dachte, am ersten Tag erkunden wir das Gelände, probieren uns ein wenig aus. Und am nächsten Tag fahren wir querfeldein. Revelstoke ist bekannt für seine Unberührtheit, lichten Wälder und ungemachten Pisten. Letzte Woche hat es noch einmal geschneit und es soll wärmer werden.“

„Wann ist dein Geburtstag?“, fragte Mike und fummelte am Radio.

Harald schluckte, fuhr langsamer, sah auf Mikes Hände, lange Finger, die ohne Hast einen Sender suchten.

„Am Mittwoch. Also in vier Tagen.“

Harald erhöhte das Tempo, überholte einen Truck, der braunen Schneeschlamm an die Scheibe spritze.

„In Revelstoke selbst ist nicht so viel los. Aber vielleicht finden wir eine anständige Bar und wir trinken was zusammen?“

„Ah.“ Mike lehnte sich zurück, aus den Lautsprechern krachte Highway to Hell  in den Innenraum. „Gut.“

„Klar“, schrie Harald und dachte, dass es so schlecht nicht anfing.

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Worte als Schlüssel zur Freiheit

“Worte sind der Schlüssel zur Freiheit der Phantasie”: Die transformative Kraft des Schreibens und der Literatur entführt uns in eine Welt voller Kreativität und Imagination.

Die Magie des Geschichtenerzählens

Schreiben ist mehr als nur das Festhalten von Gedanken auf Papier. Es ist die Kunst, Welten zu erschaffen, Charaktere zum Leben zu erwecken und Gefühle in Worte zu fassen. Durch das Geschichtenerzählen können wir uns in die Welt anderer Menschen versetzen, ferne Orte besuchen und uns in faszinierenden Abenteuern verlieren.

Selbstausdruck und Reflexion – Worte als Schlüssel zur Freiheit

Schreiben ist auch ein Weg, sich selbst besser kennenzulernen und Gefühle zu verarbeiten. Die Freiheit, Gedanken und Emotionen aufzuschreiben, ermöglicht es uns, unsere innersten Empfindungen auszudrücken und eine tiefere Verbindung zu unserer eigenen Phantasie herzustellen. Im Online-Kurs Autobiografie – Ein Experiment befassen Sie sich mit Ihrer Biografie und schreiben über Ihr Leben. Wie Annie Ernaux, die Nobelpreisträgerin.

Gemeinschaft und Verbindung

Literatur und Geschichten haben die einzigartige Fähigkeit, Menschen zu verbinden. In Büchern und Geschichten finden wir oft Trost, Inspiration und Gemeinschaft. Die Freiheit, unsere Gedanken und Ideen zu teilen, schafft eine Brücke zwischen den Menschen und eröffnet den Dialog über die menschliche Erfahrung.

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