Skip to main content
Climatehelper.de

Das Böse – in der Literatur und in uns

Das Böse und wir 

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diese Erkenntnis von Thomas Hobbes beschreibt eine düstere Sicht auf die menschliche Natur, die durch Machtkämpfe, Selbstsucht und Zerstörung geprägt ist. In einer Zeit, in der politische Extreme wieder lautstark auftreten und die Weltbühne von Feindbildern und Polarisierung beherrscht wird, stellt sich die Frage: Was treibt den Menschen dazu, sich für das „Böse“ zu entscheiden? Ist es wirklich nur die Folge von äußeren Umständen? Oder trägt jeder von uns das Potenzial zu zerstörerischen Handlungen in sich?

Die gegenwärtige politische Landschaft bietet zahlreiche Beispiele für den Aufstieg von autoritären Regimen, der Rhetorik von Hass und Ausgrenzung. Auch die Verlockung, moralische Kompromisse einzugehen, um persönliche oder politische Ziele zu erreichen, beobachten wir immer wieder.

Diese Dynamiken finden sich nicht nur in der Realität, sondern auch in der Literatur – und diese dunkle Seite der menschlichen Natur zieht uns immer wieder in ihren Bann.

Das Böse in der Literatur

In der Literatur wird das Böse nicht nur als eine äußere Macht dargestellt, sondern auch als innerer Konflikt. Der Kampf mit den eigenen Ängsten, der Selbsttäuschung und den moralischen Grenzen, die wir zu überschreiten bereit sind, ist auch eine Form des Bösen. Diese düsteren Themen finden sich in großen Werken. So z.B. in „Der menschliche Makel“ von Philip Roth. Die Kraft der Selbstverleugnung und die Angst vor gesellschaftlicher Verurteilung sind hier die Triebfedern des Bösen.  Der Protagonist Coleman Silk verleugnet sich selbst. Er will einer Welt entkommen, die ihn für das, was er wirklich ist, verurteilen würde. Sein innerer Konflikt und seine Entscheidung, ein falsches Leben zu führen, machen ihn zu einem lebendigen Beispiel für die Schuld, die der Mensch in seiner Angst, seiner Scham und seinem Wunsch nach sozialer Anerkennung trägt.

In diesem Sinne ist das Böse nicht immer der äußere Feind, sondern auch der Dämon, den wir in uns selbst nähren.

Die Gesichter des Bösen

Das Böse in der Literatur ist wandelbar. Es gibt den genialen Strippenzieher, der seine Umwelt manipuliert, den brutalen Widersacher, der gnadenlos zuschlägt. Oder das heimtückische Böse, das im Verborgenen lauert. Ob Shakespeare’s Jago, Tolkiens Sauron oder der Joker aus modernen Thrillern – jede Variante hat ihren eigenen Reiz.

Besonders spannend wird es, wenn das Böse nicht eindeutig erkennbar ist. Figuren, die ihre dunklen Seiten erst nach und nach offenbaren, sind oft die unheimlichsten. Oder solche, bei denen wir uns ertappen, dass wir mit ihnen sympathisieren – Hannibal Lecter lässt grüßen.

Das Böse als Katalysator für das Gute

Was, wenn das Böse nicht nur die Antagonist:in ist, sondern ein Element, das das Gute schärft und entwickelt? In vielen Geschichten ist es gerade die Bedrohung durch das Böse, die das Gute zu wachsen lässt. Ohne den dunklen Gegner gibt es keinen Helden, der sich beweisen muss.

In Tolkiens “Herr der Ringe” wäre Frodo ohne Sauron niemals zu dem geworden, der er ist – ein bescheidener Hobbit, der sich der Macht und Verantwortung stellt. Das Böse ist der Prüfstein, der das Gute definiert und zur Höchstform auflaufen lässt.

Das gute Böse

Und dann gibt es noch das „gute Böse“ – ein Oxymoron, das man besonders bei weiblichen Figuren beobachten kann. Frauen, die durch ihre Sozialisation darauf gedrillt werden, immer „gut“ zu sein, verlieren oft sich selbst aus den Augen. Sie nehmen auf sich, was andere von ihnen verlangen, doch dieser „gute“ Weg führt sie immer wieder zu einem Verlust ihrer eigenen Identität. Das „Böse“ in diesem Fall ist der Moment, in dem sich diese Frauen gegen das gesellschaftliche Ideal wehren und lernen, für sich selbst einzutreten – auch wenn das bedeutet, gegen Normen zu verstoßen.

Das schlechte Böse

Ein Beispiel für das „schlechte Böse“ ist in Nora Bossongs Reichkanzlerplatz zu finden. In diesem Roman wird die Figur von Magda Goebbels als jemand dargestellt, die sich aktiv für das Böse entscheidet – die in der Ideologie des Nationalsozialismus einen Teil ihres Selbst findet. Ihre Entscheidung, sich mit den Zielen und Ideologien des Dritten Reiches zu identifizieren, ist nicht das Ergebnis einer äußeren Verführung oder eines moralischen Zwiespalts, sondern eine bewusste und tragische Wahl. Magda Goebbels trifft aus egoistischen Beweggründen diese fatalen Entscheidungen.

Das Böse, das sie wählt, ist kein „gutes Böse“, das durch eine Form der Selbstermächtigung in einer von Normen geprägten Gesellschaft zu verstehen wäre. Vielmehr ist es die bewusste Entscheidung für ein destruktives, verführerisches und zerstörerisches System, das sie als ihre Möglichkeit der Macht und Identität sieht. In diesem Fall ist das Böse die Wahl der Selbstverwirklichung auf einem fundamentalen moralischen Irrweg, der zu unverzeihlichen Konsequenzen führt.

Der Abgrund und wir

Warum aber lieben wir es, das Böse zu lesen? Vielleicht, weil wir dabei sicher bleiben. Wir betreten die dunklen Gassen, ohne selbst Gefahr zu laufen. Wir durchleben moralische Grenzerfahrungen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Und wir lernen etwas über uns selbst.

Denn das wirklich Furchteinflößende ist nicht das Böse an sich. Sondern die Erkenntnis, dass es in jedem von uns schlummert.

Foto: HL


Hanne Landbeck

Bei uns lernen Sie schreiben. Ob in Online- oder Präsenzkursen, schreibwerk berlin bietet Ihnen die Begleitung für Ihr Schreibprojekt, die Sie benötigen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert